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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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als tatsächlich vorhanden war. Sogar wenn man nur jedes dritte Wort verstand und vom deutschen Privatleben der letzten Jahrzehnte gar keine Ahnung hatte, forderten Kabarettgesang mit Kräuterschnaps und ein Kriegsverbrecher zu Füßen stark die Nerven. Doch die Zudringlichkeiten – denen natürlich auch eine markante Intensität innewohnte – blieben Klaus’ Bereich. Anwar richtete aufs Geratewohl den Windsorknoten. Beim Kellner hatte er ein sparkling water bestellt und nahm nun einen Schluck Fürstenborn. In der Halle herrschte abendliche Betriebsamkeit, wahrscheinlich eine gedämpftere als tagsüber. Personal in weißen Jacken öffnete Paaren in Smoking und Abendkleid die Schwingtüren zum Speisesaal. Durch jene eines Rauchsalons, der hier Delfter Stube hieß, drang angenehmer Tabakduft. Ein Herr mit einem Cognacschwenker spähte zur Treppe und verschwand wieder im Delfter Dunst. Das Friseurgeschäft war geschlossen; dafür bestückte die Kioskverkäuferin den Zeitungsständer mit Abendblättern. Die Angestellten am Empfang hängten Schlüssel gerade und beugten sich über Unterlagen. Viel war zur Stunde wohl nicht zu bewältigen. Anwar dachte an Mister Henry, den Barkeeper im Old Victorian, und daran, daß der Chinese auch hier mit seinem selbstkreierten Longdrink Goldener Kranich, einem ziemlichen Fetzer, für offene Gespräche an der Theke gesorgt hätte. Doch Mister Henrys letzter Spirituosenvorrat war mittlerweile konfisziert oder zerschossen, und der Treff von Westlern und Einheimischen lag im Finstern. Tatsächlich war an den Tischen per Brieftasche und Handschlag manche Zollbestimmung außer Kraft gesetzt worden.
    In Hongkong ginge es weiter.
    Der bronzene Elefant hinter seinem Rücken auf dem Kaminsims ließ Anwar Batak sich nicht heimischer fühlen. Europäer rundum. Nicht einmal ein Schwarzer, ein Araber in Sichtweite. Er war das einzige Dunkle zwischen Rauchstube und Portier. Blicke streiften ihn zur Genüge. Körperlich weh tun konnten ihm die Deutschen, wie sie es bis vor kurzem mit Dunklen getan hatten, wohl nicht mehr. In der Nähe mußten englische oder amerikanische Soldaten stationiert sein. Vorzeiten, als Junge, war er selbstverständlich auf Sukira, dem Elefanten des Großbauern Wahid Hasiym, geritten, wenn die riesige graue Dame zur Wäsche an den Bergfluß geführt worden war – der halbe Dorfnachwuchs hatte auf Sukiras Rücken geschaukelt; hier nahmen die Vorübergehenden das Abbild des prächtigen Tiers gar nicht wahr. Und es handelte sich auch keineswegs um einen aparten indonesischen Elefanten, sondern um einen mit großen Ohrlappen aus Afrika.
    Anwar ließ sein Gesicht versteinern, gleichgültig, ob dies nun hochnäsig aussah. Halb hinter der Litfaßsäule verbarg sich der Kriegsverbrecher oder Professor mit der Hängebrille und winkte seltsam, was mit Hand in Bauchhöhe eher nach Schüttellähme aussah. Es kam nicht in Frage, sich mit dem Banditen einzulassen, schon gar nicht mutterseelenallein im Rheinland. Anwar stampfte eher sichtbar als vernehmlich mit dem Fuß auf, und der Bertram ließ die Schultern hängen. Der Portier sprach ihn an, Klaus Heusers Bedränger verschwand auf die Straße. Außer dem invaliden Pförtner, dem vormittags seiner Erinnerung nach der andere Arm gefehlt hatte, vermerkte Anwar nur einen Gast ohne Beine im Rollstuhl. Ohne sich im voraus besondere Gedanken gemacht zu haben, hatte er doch vermutet, daß in Deutschland nach dem großen Krieg viel mehr Verkrüppelte, Blinde, schmerzverzerrte Menschen zu sehen wären. Das versehrte Volk bewegte sich im großen und ganzen jedoch erstaunlich intakt und flott, die Röcke über den Petticoats schwangen, einem Herren fehlte ein Finger, aber an der anderen Hand glänzte ein Goldring. Nun, ein Grandhotel war gewiß kein Zentrum für Opfer. Die Energie der Europäer, falls sie nicht gerade ein Tal rodeten oder ein Hospital bauten, war stets zum Fürchten gewesen. Nie Ruhe, außer wenn die Schwüle sie mattsetzte. Im Sommer hatte Mevrouw Bouwman stundenlang im Verandaschatten gesessen und hinter ihrem Fächer nur gelegentlich geächzt: «Der Herr erlöse uns von seinen Feuerqualen … Die Königin weiß nicht, was wir leiden.» Je nach ihrem Zustand hatte Mevrouw ihn in solchen Glutwochen vor ihren Augen im Garten besonders emsig jäten lassen oder ihn mit einem Andachtsbuch unter den Fieberbaum geschickt.
    Es war ein Himmelswink gewesen, daß die Bouwmans ihn im Centraal untergebracht hatten.
    Weiße am

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