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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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Zeitungsstand, auf dem Treppenteppich, plaudernde Weiße auf dem Weg in die Stadt, sogar europäische Dienstboten mit Häubchen und in Uniformjacke. Die meisten der Geschäftigen wirkten lautlos und zielstrebig. Einige der Europäer kamen ihm vertraut fett und verschwitzt vor. Ein Herr mit Krempenhut mußte sich in die Telefonzelle geradezu zwängen. Ob elegant oder fleischkloßig, hinter den meisten witterte Anwar eine geheime Macht, das System der nördlichen Welt, das sich fast alles unterworfen hatte. Er spürte, daß er mehr innere Kraft als vermutet brauchte, um sich zwischen ehemaligen Zwingherren nicht als Süduntertan zu fühlen, sondern als Gast unter Gästen. Er fand es erstaunlich, daß seine Landsleute, diese untereinander oft feindsinnigen Stämme, es geschafft hatten, ein mehrhundertjähriges Joch abzuwerfen und die Holländer mitsamt ihren Tanks und Kanonenbooten übers Meer zurückzuschicken. Er selbst hatte mit Klaus schon am Jangtse gelebt. Geschickt hatten die Niederländer, die nach dem europäischen Krieg in ihrer Heimat selbst kaum etwas zu beißen hatten, ihre Razzien und Hinrichtungen der Rebellen, das Niederbrennen ganzer Dörfer, als Polizeiaktion bezeichnet, und ihre Konzentrationslager hatten Internierungscamps geheißen. Aber dem kleinen Mutterland, nicht größer als ein Zipfel Sumatras, war in Fernost die Luft ausgegangen, und nach der Unabhängigkeit Indiens hatte auch Den Haag das Inselreich in die Freiheit entlassen müssen. Die Amerikaner hatten es verlangt. Daß in Düsseldorf eine Holländische Woche stattfand, hatte Anwar an den Litfaßsäulen wohl gesehen. Nun aber wurde die Lage beklemmend. Die Sprache kannte er und beherrschte sie perfekt.
    «Ik moek nog even terug naar mijn kamer, om mijn geld te halen.»
    «Ach, dat is niet nodig, Aaltje. Ik heb genoeg bij me.»
    «Ik moet nog een beetje wisselen.»
    «Is dat nog de moeite waard? Overmorgen zijn we weer in Dordrecht.»
    Beide Damen ließen sich in die schweren Fauteuils links von ihm nieder. Die Blonde mit einer Art Bogenhütchen von Ohr zu Ohr kramte in ihrer Tasche, ihre korpulentere Begleiterin wischte sich mit Netzhandschuhen über den Taftschoß und war etwas atemlos. Statt eines Portemonnaies, das Frau Aaltje im Zimmer vergessen hatte, zog sie zwei Billets hervor. «Aan de entreekaartjes heb ik in ieder geval gedacht.»
    Sie gewahrten in nächster Nähe Anwar. Er wollte einen Schluck trinken, war aber zu nervös, um das Glas ruhig zu fassen. Falls die Frauen je auf den Insulinen gewesen waren, mochten sie in ihm einen Eingeborenen erkennen. War das für die Niederländerinnen ein Thema? Würden sie ihn mit ihren Blicken gleich höhnisch messen, daß er es sich, als Rebellenbrut, mit Gamaschen und Einstecktuch in einem Sessel nun sogar schon vor einem europäischen Kamin bequem machte? Sich unweit des Mutterlands bedienen ließ! Holländer tummelten sich zwar allerorten, aber übermäßig zahlreich waren sie nicht. Vielleicht kannten sie aus Dordrecht das Ehepaar Bouwman, das sich verzweifelt durch den Lebensabend betete, falls es bei der Befreiung nicht massakriert worden war.
    Es war dumm, daß er etwas sagte, aber als Mensch sagte man gerne auch halb unwillkürlich etwas. «Goedenavond.» Die Frauen stutzten, schauten einander an. Wie mißlich, als Mann hatte er zwei Damen angesprochen.
    «Insgelijks», entgegneten sie. Durch alle drei rieselte vielleicht das Gefühl einer schmerzlichen Verbundenheit. Die Blonde löste ihren Blick von seinen Gamaschen und schien sich unschlüssig, ob sie dies Bekleidungsaccessoire für deplaziert oder extravagant halten sollte. Dieselbe Erwägung, fand Anwar, ließe sich über ihren Bogenhut mit Reiherfeder anstellen. Die Fremden schienen nicht zu einem Gespräch geneigt oder mußten sich zum Gastspiel eines niederländischen Frauenchors aufmachen. Der Taschenverschluß schnappte zu, sie nickten, und er wünschte ihnen «Een angenaam openthoud», was wahrscheinlich zu persönlich wirkte. Die Fülligere im blauen Taft hakte sich bei der anderen unter, besaß aber noch genug Bewegungsfreiheit, um aus ihrem Armbeutel – das erkannte Anwar unschwer – ein Silberfläschchen mit Trinkbecherverschluß zu ziehen. Gleich genehmigte sie sich wohl eine Stärkung, Whisky oder Genever.
    Gerne hätte er noch Holländisch gesprochen, und möglicherweise beherrschte eine von ihnen Behasa Melayu. Vielleicht wäre es sogar vergnüglich geworden.
    So kam’s, so ging’s. Bei längst nicht dreißig

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