Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
man ihn gar nach einer der Spinozistischen Affektenlehre entsprechenden Farbskala einordnen, so käme wohl nur ein hartes, kaltes Königsblau als die ihm entsprechende Farbe in Betracht. Wenn man bedenkt, dass der glorios restaurierte Fürst dort –«
er prostete durch das Türglas dem entfernt und etwas vereinsamt im Spiegelsaale stehenden Landgrafen von Hohenfließ zu
»– um ein Haar durch königliche Nachlässigkeit und königsväterliche Brutalität zuschanden gekommen und Tausende seiner Untertanen zu Sklaven der schwarzen Adler-Bande geworden wären, möchte einem das Blut in den Adern gefrieren.«
Langustier schwieg betroffen. Dieses Urteil über seinen Chef und dessen Familie so deutlich und aus so berufenem Munde ausgesprochen zu hören, während er auf der vom König ausgerichteten Mariage seiner Tochter mit einem Weinglase in der Hand parlierte, kam ihm peinlich und unfreundlich vor. Doch er konnte nicht umhin, Voltaire zu bewundern für die Kühle und Beherrschtheit, mit der er in der Höhle des Löwen – oder besser: im Adlerhorst – diese Gedanken äußerte.
Sollte er denn nun vom Stern seines philosophischen Himmels verlassen und in blaueste Eisesnacht und Einsamkeit hinausgestoßen werden, in dieses königsblaue Preußen, in dem alle Zeichen auf Krieg standen?
Voltaire schien zu spüren, wie es in ihm arbeitete, denn er legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter, und erhob sein Glas gegen ihn. Mit einem verbrüdernden Schluck breiteten sie den Mantel des Schweigens über diese private Anatomie des Gastgebers.
»Sie haben die besten Mittel, Monsieur, den Lauf der Welt zu beeinflussen«, sagte Voltaire.
»Viel wirkungsvollere als mir zu Gebote stehen, denn ich mache mir meinen Arbeitgeber mit endlosen Feldzügen über die Schlachtfelder seiner Verse stets so sehr zum Feind, dass er etwaigen Ratschlägen auf anderem Gebiete nicht mehr zugänglich ist.
Die Kochkunst dagegen stimuliert ganz andere Kräfte: Ihr könntet direkt, wenn ihr wolltet, den König an seinen Nerven lenken wie an Marionettenfäden. Wirkt auf seine Säfte, indem Ihr ihm die Schärfe nehmt. Ja, ich glaube, das ist es, verschließt ihm Meerrettich und Senf. Dann fällt er auch nicht mehr auf die Natter eines Schlütern herein. Seine Sinne wären wieder durch Milde geschärft, statt durch Schärfe erschlafft. Und man möchte hoffen, dass sein Flötenspiel und sein Dichten einen besseren Verlauf nähmen.«
Langustier bemühte sich, so breit zu lächeln wie Voltaire, denn das Objekt ihrer degoutanten Betrachtungen steuerte unterdessen quer durch den Raum auf die Glastür zu.
Der König sprach kurz gegen Voltaire zum ›Antimachiavell‹, denn er hatte beim Flötenspiel offenbar einige Gedanken gesammelt. Doch sein Interesse an diesem Gesprächsgegenstand erlahmte rasch. Zuinnerst ließ ihn all dies Gerede und Geschreibe über derlei Materien kalt. Es war etwas anderes, mit wohlformulierten Worten über das hohe Staatsgeschäft zu schreiben, als den Stiefel in den dampfenden Schlamm der Schlachtfelder zu setzen.
Er hatte seine früheren Bedenklichkeiten schnell abgeschüttelt. Die Dinge nahmen weitaus lebhaftere Konturen an, was sollte da noch ein Buch? Er wünschte, mit den Umstehenden etwas Kaffee einzunehmen, den die Bedienten sogleich in zierlichsten blauen Tässchen mit goldenem Rankenwerk herbeibrachten.
Noch ahnte keiner, selbst Voltaire nicht, dieser Meister der Verstellung und Menschenkenntnis, was im Kopf Sr. Majestät vorging. Auch Frédérics eigene Adjutanten, sein Generalstab, seine engsten Vertrauten und Freunde – alle waren sie ahnungslos.
Am 26. Oktober war ein Kurier via Berlin nach Rheinsberg gegangen, um die betrübliche Nachricht zu überbringen, dass der römische Kaiser den 20. des Monats endgültig abgedankt und die Welt verlassen habe.
Der Marquis de Beauvau, den man aus Frankreich zum König in Preußen geschickt hatte, nahm an, Se. Königliche Majestät würden gegen Frankreich und zugunsten von Maria Theresia, der Königin von Ungarn und Böhmen und Tochter Karls IV. auftreten und die Wahl Franz’ von Lothringen, Großherzog von Toskana und Gemahl jener Königin, zum Kaiser unterstützen. Sein »Tu felix Austria!« hatte nur ein schwer deutbares Funkeln im Auge des Monarchen hervorgerufen.
Zwei Tage nach diesem Fest in Rheinsberg, am 21. November, konnte man in den ›Berlinischen Nachrichten‹ lesen:
»Der Hof erhält sich zu Rheinsberg in allem hohen Wohlbefinden. Der große
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