Königsjagd
Amerikanerin«, antwortete sie gelassen.
»Wird's bald?« Er schnippte mit den Fingern. Sie holte ihren Reisepaß aus der Handtasche und reichte ihn ihm.
»Hanna Winter, zweiundzwanzig Jahre. Ein gutes Alter.« Sein Begleiter lachte, und er gab ihr das Dokument zurück. »Und ihre Aufenthaltsgenehmigung. «
Der andere trat näher, genoß die Szene sichtlich, entkleidete sie mit seinen Blicken. Zögernd holte sie das Papier heraus. Er lachte begeistert. »Sieh dir das an. Eine Jüdin.« Er kam noch näher. »Wo ist dein Stern, Judenweib? Du weißt, daß es eine schwerwiegende Übertretung ist, ohne Judenstern auf die Straße zu gehen. Wir werden etwas tun müssen.«
Er war jetzt ganz dicht vor ihr, trieb sie rückwärts zu dem Gang zwischen zwei Häusern. Sie hörte eine zuschlagende Autotür und sah einen Mann aus dem Fond des Mercedes kommen und über die Straße gehen. »Das reicht«, rief er in gedämpftem Ton durch den Regen. Er war mittelgroß, trug einen Hut mit heruntergezogener Krempe und einen schwarzen Ledermantel. Im Mundwinkel hing eine Zigarette. Der junge Mann, der sie bedrängt hatte, knurrte wütend: »Hauen Sie ab, oder Sie können was erleben. Dies ist eine Angelegenheit für die Polizei.«
»Wirklich?« sagte der Mann ruhig. »Fräulein Winter, stimmt das? Mein Name ist Schellenberg. Ich habe den kleinen Wortwechsel drüben im Auto mitbekommen. Fühlen Sie sich von diesen Männern belästigt?«
»Sie ist Jüdin und treibt sich ohne ihren Davidsstern auf der Straße herum.«
»Und amerikanische Staatsbürgerin, wenn ich richtig gehört habe. Stimmt das, Fräulein?«
Sein Lächeln strahlte einen harten Charme aus, der von einem Schmiß auf der Wange unterstrichen wurde, und ihr Magen zog sich aus einem unerklärlichen Grund vor Erregung zusammen. »Ja«, sagte sie.
Eine Hand packte Schellenbergs Arm und schüttelte ihn wütend. »Hauen Sie endlich ab. Es sei denn, Sie wollen unbedingt eins in die Fresse bekommen.«
Schellenberg war nicht im mindesten beeindruckt. »Ich muß schon sagen, Sie sind ein sehr unartiger kleiner Junge.« Er wedelte lässig mit der rechten Hand. Zwei Männer in Uniformen, die so schwarz waren wie der Mercedes, stiegen aus dem Wagen und liefen über die Straße. Auf ihren Ärmelaufschlägen waren mit Silberfäden die Buchstaben RFSS aufgenäht - die Abkürzung für Himmlers persönlichen Stab: Reichsführer SS.
Schellenberg sagte: »Ich denke, hier ist eine kleine Lektion angebracht.« Er nahm das Mädchen am Arm. »Mein Fräulein.« Während er sie mit festem Griff über die Straße führte, hörte sie einen Schlag, einen Schmerzensschrei, aber sie blickte sich nicht um.
Eine Viertelstunde später fuhr der Mercedes vor dem Garden Room an den Bordstein und hielt. Hans, der Portier, trat langsam näher und machte ein erstauntes Gesicht, als er sah, wer im Wagen saß. Er öffnete den Wagenschlag, und Schellenberg stieg aus, drehte sich dann um, um ihr behilflich zu sein.
»Hier arbeiten Sie also?« Er betrachtete die Fotos in dem Schaukasten unter dem Plakat. »›Hanna Winter und das Connie-Jones-Trio vom Albany Club, New York‹. Klingt ganz interessant. Ich muß an einem der nächsten Abende mal vorbeischauen.«
Sie sagte ruhig: »Ich bin Jüdin, das wissen Sie inzwischen, und wie Sie auf den Bildern sehen können, ist Connie ein Neger. Ich glaube kaum, daß wir für einen Angehörigen der Herrenrasse von Interesse sein können.«
»Oh, sagen Sie das nicht. Soweit ich weiß, haben Sie immer ein erlesenes Publikum.« Er lächelte freundlich. »Sollen wir hineingehen?«
»Ich nehme den Personaleingang.«
»Ich benutze dagegen immer die Vordertür.«
Er hatte sie wieder in den Arm genommen, und sie ging mit, ohne etwas einzuwenden. Hans riß die Tür für sie auf. Ihr Onkel stand am Empfangstisch und unterhielt sich mit dem Garderobenmädchen. Er war ein verschmitzter, kleiner, freundlicher Herr mit vollem grauem Haar und Stahlbrille, der es trotz seiner weißen Smokingjacke fertig brachte, irgendwie schmuddelig zu wirken.
Beim Anblick seiner Nichte und Schellenbergs verschwand das Lächeln von seinem Gesicht, und er eilte den Neuangekommenen entgegen. »Hanna, Kleines, was ist passiert? Hast du Schwierigkeiten?«
»Ich hatte welche, aber das ist dank Herrn Schellenberg vorbei. Darf ich vorstellen, mein Onkel, Max Winter.«
»Guten Abend, Herr Winter«, sagte Schellenberg
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