Königsjagd
Wandschirm hervorkommend und sich umdrehend, damit er die Knöpfe an der Rückseite des Kleids zuknöpfen konnte. »So viele Titel - so viele Namen. Es ist alles sehr verwirrend. Und die Uniformen - jeder zweite, den man trifft, scheint eine zu tragen.«
Er nahm ihre Hand. »Wir sind hier nicht in der zweiundvierzigsten Straße, Hanna.«
Sie setzte sich ihm gegenüber. »Das stimmt, Onkel Max. Laß uns also nach Haus fahren.«
»Du fährst«, sagte er. »Ich habe alles arrangiert - Fahrkarten und alles.«
»Wie bitte?«
»Connie und die Jungs fahren Montag morgen mit dem Zug nach Paris. Dort nehmen sie den Schlafwagen nach Madrid - zusammen mit dir.«
»Und wann wurde dies alles beschlossen?«
»Heute. Die Jungs treten eine Woche lang im Flamenco Club auf. Das hast du doch gewußt.«
»Ich bin aber nicht mitengagiert.«
»Nein, aber du fährst einfach weiter nach Lissabon, von dort gehen viele Schiffe nach New York. Vielleicht bekommst du sogar einen Platz im Wasserflugzeug - im Clipper.«
» Und du?«
»Ich habe hier noch einige Sachen zu erledigen.«
»Dann fahre ich auch nicht.«
»O doch, du fährst, Kleines.« Noch nie hatte seine Stimme diesen Tonfall gehabt, wenn er mit ihr sprach. Er tätschelte ihre Hand und stand auf. »Wir haben heute abend eine Menge Gäste. Ich gehe jetzt besser und schaue nach, wie das Essen ankommt.«
Als er die Tür erreicht hatte, sagte sie: »Onkel Max, du steckst in irgend etwas drin, nicht wahr? Ist es eine ernste Sache?«
Er lächelte liebevoll. »Bis nachher. Wenn du die Gäste erobert hast, Kleines.«
Die Tür schloß sich leise hinter ihm, und sie saß da und starrte in den Spiegel, unfähig, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Einen Augenblick später klopfte es wieder, und Connie Jones steckte den Kopf ins Zimmer.
»Bist du soweit?«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Weiter geht's nicht.« Connie war ein großgewachsener, ungeschliffen wirkender Neger von 45 Jahren, mit kurzgeschnittenen, ergrauenden Haaren. Er war in New Orleans zur Welt gekommen und aufgewachsen und konnte seit dem frühen Alter von sieben Jahren wie ein Meister Klavier spielen, aber Noten konnte er bis heute noch nicht lesen.
»Trouble?« fragte er, sich auf den Rand ihres Schminktisches setzend. »Onkel Max hat mir eben gesagt, daß ich Montag mit euch fahren muß.«
»Stimmt. Vierzehn Stunden bis Paris, dann von der Gare d'Austerlitz im Nachtexpreß nach Madrid! Ich kann den Staub dieser Stadt nicht schnell genug von meinen Füßen schütteln.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Du machst dir Sorgen um den alten Herrn, nicht wahr?«
»Er sagt, er kommt nicht mit, aber wenn er hierbleibt...«
»Dein Onkel Max weiß besser als jeder andere, was er tut, Darling. Ich würde mich da nicht einmischen.« Er nahm ihre Hand. »Du grübelst zu viel, und das ist nicht gut, weil wir gleich eine Show hinlegen müssen. Vorwärts.«
Sie holte tief Luft, stand auf und folgte ihm durch die Tür, wo sie sich sofort wieder der typischen Geräusche des Nachtlokals bewußt wurde. Gesprächsfetzen, Lachen, Gläserklirren. Die Atmosphäre war von einer Elektrizität, die nie ihre Wirkung auf sie verfehlte. Zwei andere Schwarze warteten im Halbdunkel neben dem kleinen Podest, beide jünger als Connie. Billy Joe Hale, der Bassist, und Harry Graf, der Schlagzeuger. Sie drückten ihre Zigaretten aus und traten mit Connie auf die Minibühne.
Hanna wartete, bis die Scheinwerfer die Bühne in grellweißes Licht tauchten und die Stimme von Onkel Max aus dem Hintergrund des
Raumes ertönte: »Und nun präsentiert der Garden Room voll Stolz... die unübertreffliche Hanna Winter, direkt aus New York!« Während Connie und die Jungs ein mitreißendes Arrangement des »St. Louis Blues« intonierten, trat sie unter donnerndem Beifall auf das Podium und begann, sich alles von der Seele zu singen.
Reinhard Heydrich stammte, im Gegensatz zu vielen anderen führenden Nationalsozialisten, aus besseren Verhältnissen. Aufgrund eines Ehrenverfahrens mußte er seinerzeit aus der Marine ausscheiden, trat dann umgehend der SS bei, und bald darauf bestimmte Himmler ihn zu seinem Stellvertreter. Den Aufstieg zum Leiter der Geheimen Staatspolizei in Berlin hatte er nicht nur seinen Führungsqualitäten und seiner überlegenen Intelligenz, sondern mindestens ebensosehr seinem totalen Mangel an Menschlichkeit zu verdanken.
Als Schellenberg eintrat,
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