Königsjagd
liebenswürdig und wandte sich wieder an Hanna.
Sie war gerade zweiundzwanzig geworden, ein zierliches, fast mageres Mädchen mit hübschen Beinen; ein eher reizvolles als schönes Gesicht mit hohen Wangenknochen, dunklen Augen und schwarzen Haaren, die sie entgegen der Mode lang trug.
Er nahm ihre rechte Hand und hielt sie einen Moment fest. »Und jetzt, mein Fräulein, wo ich Sie in einem besseren Licht sehe, bin ich entschlossener denn je, to catch your act - ist das nicht der amerikanische Ausdruck? Aber heute abend habe ich leider keine Zeit mehr dafür.«
Er hob ihre Hand an die Lippen, und sie war sich abermals jener seltsamen, unwillkommenen Erregung bewußt. »Herr Winter.«
Er ging hinaus, und als Hanna ihren Onkel ansah, registrierte sie, daß er ziemlich bleich geworden war. »Onkel Max, was ist los?«
»Dieser Mann«, flüsterte er. »Wo hast du ihn kennen gelernt ? Weißt du denn nicht, wer er ist? Er ist Walter Schellenberg, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei. Heydrichs rechte Hand.«
Hanna Winter wurde im November 1918, zwei Tage ehe der Waffenstillstand den schrecklichsten aller Kriege beendete, geboren. Ihr Vater, Simon Winter, früher Geiger bei den Berliner Philharmonikern, emigrierte 1920 nach Amerika und eröffnete gemeinsam mit seinem Schwiegervater in New York ein kleines Restaurant in der 42. Straße. In der Prohibitionszeit entwickelte sich das Lokal zu einem außerordentlich beliebten Nachtclub. Wegen einer Brustverwundung, die er als Infanterist an der Somme erlitten hatte, war seine Gesundheit nie gut gewesen, und er starb im Juli 1929.
Nach der Prohibition wurde der Club wieder ein Restaurant und ging unter der klugen Führung von Hannas Mutter glänzend. Hanna war zu einem braven jüdischen Mädchen erzogen worden, das eines Tages heiraten, Kinder bekommen, ein geregeltes bürgerliches Leben führen sollte. Vielleicht wäre es so gekommen, aber eine Sache stand dieser Entwicklung im Wege: Hanna Winter hatte eine ungewöhnlich schöne Stimme. Sie entdeckte ihr Talent durch Zufall, als sie mit einer SchülerJazzband in der Highschool sang. Von jenem Tag an kannte sie nur noch ein Ziel. Schon mit siebzehn Jahren war sie mit Benny Goodman im Paloma Ballroom in Hollywood aufgetreten. Dann war sie als Bandsängerin mit Artie Shaw und Tommy Dorsey auf Tournee gegangen. Am besten war sie jedoch in dem kleineren Rahmen eines Clubs oder Cabarets, möglichst von einem guten Trio begleitet. Dann konnte sie selbst durchschnittlichen Schlagern eine Intensität verleihen, die vielleicht an das heranreichte, was Bessie Smith mit dem Blues gemacht hatte.
Und sie hätte jetzt zusammen mit Bing Crosby in den Paramount-Studios in Hollywood einen Film drehen können, wäre nicht Onkel Max gewesen, der jüngere Bruder ihres Vaters, der die ganze Familie in Angst und Schrecken versetzt hatte, als er - obgleich seit fünfundzwanzig Jahren naturalisierter Amerikaner - 1937 in seine Heimatstadt zurückgegangen war, um dort einen Nachtclub zu eröffnen.
Deshalb war Hanna jetzt in Berlin. Um ihn zu überzeugen, daß es höchste Zeit war, Hitler-Deutschland wieder zu verlassen. Aber die Ereignisse waren ihr zuvorgekommen. Der Blitzkrieg an der Westfront war vorbei, die Nazis standen am Kanal und betrachteten England als nächste Etappe, von der sie nur noch ein lächerlicher Wasserstreifen trennte.
Sie schminkte sich gerade, als an die Tür geklopft wurde und ihr Onkel eintrat. Er zog sich einen Stuhl heran und zündete sich, während er sie im Spiegel beobachtete, eine der kleinen Zigaretten an, die er bevorzugte. »Nun... was ist geschehen?«
Sie erzählte es ihm schnell, wobei sie sich fertig schminkte, und ging dann hinter den Paravent, um sich umzuziehen.
»Nicht gut«, sagte er. »Vielleicht wäre es angebracht, wenn ich dir einige Dinge erklärte. Die SS ist heute in Deutschland allmächtig, und inne rhalb der Organisation gibt es noch einen speziellen Nachrichtendienst - den SD. Heydrich leitet ihn, obwohl er Himmler weiterhin untergeordnet ist.«
»Und Schellenberg?«
»Er leitet die Abteilung für Gegenspionage, aber wichtiger ist die Tatsache, daß er Heydrichs Favorit ist. Seine rechte Hand.« Sie antwortete nicht, als sie sich das lange schwarze Kleid über den Kopf streifte und achtgab, daß das Make-up nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. »Verstehst du, was das bedeutet?«
»Ehrlich gesagt, nein«, sagte sie, hinter dem
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