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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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spürte sie, als ich mich bei ihr niederließ, schnell mein heimliches Unbehagen und fragte mit ihrer leisen, melodiösen
     Stimme: »Was haben Sie, Pierre? Ist Ihnen nicht wohl zumute?«
    »Das kommt, weil ich wie jeder heutzutage in Sorgen bin wegen der Revolte der Großen.«
    »Ach, schon wieder!« sagte sie. »Ich dachte, die hätten durchgesetzt, was sie wollten.«
    »Sicher, aber wie vorauszusehen war, wollen sie nun noch mehr … Deshalb sind sie nicht an den Hof zurückgekehrt, wie versprochen.
     Der Herzog von Bouillon ist in Sedan geblieben. Der Herzog von Nevers in Nevers. Der Herzog von Longueville in Mézières und
     der Herzog von Vendôme in der Bretagne, wo er sich frech gegen die königliche Macht verschanzt. Und Prinz Condé hat sich Amboise
     genommen und hat von dort aus mit ein paar Adligen und einem Regiment versucht, sich auch noch Poitiers anzueignen. Kurz entschlossen,
     hat der Bischof der Stadt ihm die Tore vor der Nase zugeschlagen und sofort die Königin ersucht, ihn zu entsetzen, weil der
     Prinz nun die Umgebung unsicher macht.«
    »Ach, Pierre, wie hübsch!« sagte die Gräfin und lachte mit einemmal hell auf. »Den Ausdruck kannte ich nicht. Pierre, machen
     Sie mich jetzt unsicher? Nein, schon gut, mein Freund. Also, was macht die Regentin nun? Gibt sie wieder nach?«
    »Nein, meine Liebste, das Maß ist übervoll. Sogar jemand mit so beschränktem Horizont mußte jetzt einsehen, daß der Appetit
     der Großen durch eben den Hafer wächst, mit dem man sie mästet. Villeroy konnte der Königin mühelos darlegen, daß Condé, wenn
     sie ihn diesmal machen ließe, mit ihr umspringen würde wie früher Guise mit Heinrich III.: er würde ihr eine Stadt nach der
     anderen nehmen. Wenn nicht gar ihre Provinzen. Denn Condés gelehriger Schüler, der schwule kleine Vendôme, war schon im Begriff,
     sich aus der Bretagne ein unabhängiges Gebiet zu schneidern. ›Wenn wir jetzt nicht handeln‹, sagte Villeroy der Königin, ›verlieren
     wir auch noch das Poitou und die Bretagne‹.«
    »Und handelt sie?«
    »Tatsächlich, ja! Und diesmal gegen die Marschälle von |259| Ancre, die derzeit in halber Ungnade sind. Aber die wird leider nicht lange anhalten.«
    »Das heißt also Krieg!« sagte sie lächelnd.
    »Nicht ganz. Es gibt eine große Reise gen Westen. Der Hof wird mit seinen Garderegimentern und sechstausend Schweizern eine
     Stadt an der Loire nach der anderen, von Orléans bis Nantes, besuchen, um der Bevölkerung ihren jungen König zu zeigen und
     die Großen durch die Ausstellung der königlichen Heeresstärke einzuschüchtern.«
    »Und wie lange soll diese Kavalkade dauern?« fragte Frau von Lichtenberg mit plötzlich verwandeltem Gesicht.
    »Zwei Monate.«
    Ein langes Schweigen trat ein, als fürchte sich Frau von Lichtenberg, mir die nächste Frage zu stellen. Ihre großen schwarzen
     Augen bohrten sich in die meinen, stumm und blaß sah sie mich an, ihre Brust ging hoch, und ihre Hände umklammerten die Armlehnen.
     Wie ferne war ihre sprudelnde Heiterkeit von vorhin!
    »Pierre«, sagte sie schließlich mit erloschener Stimme, »ge hen Sie mit auf diese Reise?«
    »Ja.«
    »Zwei Monate! Zwei lange Monate, ohne Sie zu sehen!« rief sie plötzlich mit einer Verzweiflung, die mir nach dem, wie ich
     ihr Wesen bisher kannte, ganz übermäßig erschien.
    »Ich muß, meine Liebste, leider!« sagte ich. »Der König hat es befohlen.«
    Was nun geschah, machte mich sprachlos. Das Leiden, das sich auf ihrem Gesicht malte und das mir ins Herz schnitt, verschwand
     jäh. Mit verzerrten Lippen und flammenden Augen richtete sie sich steif und anklagend auf und sagte voll Zorn: »›Leider!‹
     sagen Sie, Monsieur! Haben Sie wirklich ehrlichen Herzens ›leider‹ gesagt?«
    »Madame«, sagte ich zitternd, »können Sie das bezweifeln?«
    »Oh, ja, Monsieur«, rief sie, ganz außer sich, »und wie ich das bezweifle! Und Ihre scheinheiligen Beteuerungen können mir
     gestohlen bleiben, denn ich spüre doch, wie Sie in Gedanken an diese große Reise nach Westen innerlich voll Jubel sind!«
    »Madame, bitte!« rief ich, »werfen wir nicht alles durcheinander! Für meinen König und die Einheit des Reiches erscheint mir
     die politische Idee dieser Reise vortrefflich. Und gleichzeitig |260| bin ich tief bekümmert bei der Vorstellung, Sie so lange nicht zu sehen.«
    »Bekümmert!« rief sie hohnlachend. »Sie wollen bekümmert sein, wenn Ihnen die schönen Städte der Loire in Aussicht stehen,
    

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