Königskind
olympisch,
daß ich ihrem jähen Stimmungswandel fast ungläubig gegenüberstand.
Ihre halb gegessene Waffel lag neben einer, die sie für mich bestimmt und dann vergessen hatte, mir anzubieten. Endlich erhob
sie sich wie ein Automat und ging zu ihrem Zimmer. Ich folgte ihr und entblößte sie des wenigen, was sie trug. Sie ließ die
Entkleidung mit gesenkten Augen über sich ergehen, ohne jenes Erschauern, das sie sonst von Kopf bis Fuß durchlief, wenn sie
unter meinen Händen zu ihrer paradiesischen Nacktheit zurückkehrte. Starr und abwesend streckte sie sich von selbst auf ihr
Lager, und als ich neben sie kam, nahm sie meine Hand und drückte sie wortlos, ohne mich anzublicken, wie wenn der Schmerz
so schwer auf ihrer Brust läge, daß er ihr alles Leben, alle Hoffnung nahm. Lange und inständig sprach ich auf sie ein, ohne
die kleinste Antwort zu erhalten. Ich versuchte, sie durch Zärtlichkeiten und Liebkosungen zu erwecken, die sie gern hatte,
und sie wollte darauf wohl erwidern, aber der Zauber wirkte diesmal nicht.
Meine arme Liebste war für gar nichts zu gewinnen, nicht einmal für unsere schönsten Wonnen. Am Ende verlor ich den Mut und
blieb still und stumm neben ihr liegen. Aber daß auch das nicht das rechte war, merkte ich bald, denn sie fing lautlos an
zu weinen. Da nahm ich sie in die Arme, umschlang sie mit aller Macht, aber es schien mir sinnlos, weiterzugehen: es wäre
einer Vergewaltigung gleichgekommen, so leblos blieb sie. Dabei sprach aus ihrem Blick keine Kränkung, kein Zorn, kein Groll,
nur Zärtlichkeit. Und obwohl ich keine Schuld hatte, zerriß mich dieser Blick und flößte mir Gewissensbisse ein. War es denn
möglich, einem Wesen, das man so sehr liebte, soviel Leid zuzufügen?
Derweise verrann der ganze Nachmittag, ohne daß sie den Mund aufmachte, ich hätte glauben können, sie habe die Sprache verloren,
hätten ihre Lippen, wenn ich mein Ohr darüber beugte, sich nicht leise bewegt und mich mit so ferner Stimme beim Namen genannt,
als läge zwischen ihr und mir ein großer Strom, als trennten uns Wasser und Nebel, und vom anderen Ufer trüge der Wind mir
ihre Stimme so klagend zu, daß es mir das Herz abdrückte.
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|263| ZEHNTES KAPITEL
Obwohl es im Louvre geheißen hatte, nur eine begrenzte Zahl von Edelmännern und Damen dürften Ihre Majestäten auf der großen
Reise nach Westen begleiten, war dem nicht so. Alle Höflinge packte die unbändigste Begier, dabeizusein, und sie ließen nichts
unversucht – Intrigen, Ränkespiel, flehentliche Bitten zu Füßen der Regentin, Nadelgelder an die Concini –, um zu den Auserwählten
zu gehören: jedenfalls schwoll die Gästeliste allmählich ins Maßlose.
Und weil alle diese Glücklichen oder Unglücklichen – denn sie liefen einige Gefahr, sich zu ruinieren, weil jeder die Kosten
selbst zu tragen hatte – um ihrer Ehre willen wenigstens von einem runden Dutzend Leute begleitet sein wollten, waren es etliche
tausend Menschen, die der Regentin und dem kleinen König auf Frankreichs Wegen folgten. Die einen ranggemäß in wappengezierten
Karossen, die anderen in Mietkutschen, die dritten zu Pferde und auf Maultieren und das Gesinde auf Karren.
Allerdings erging strenge Weisung, daß ein jeder, angefangen bei den Herzögen und Pairs, sein Gefolge zu beschränken habe.
Auf Order der Regentin hatte der Großkämmerer mit seiner schönen tiefen Stimme und in den erlesensten Worten auch die Herzogin
von Guise ersucht, ihren Begleitzug so klein wie möglich zu halten. Murrend gehorchte meine liebe Patin oder glaubte doch
aufrichtig, zu gehorchen, jedenfalls fand sie, wie sie mir vor der Abreise aus Paris anvertraute, ihr Gefolge zum Weinen kläglich.
»Wer denkt denn«, sagte sie, »wenn er mich fahren sieht, daß ich Prinzessin von Bourbon und Herzogin von Guise bin?«
Ich war durchaus nicht dieser Meinung, als ich ihren Zug in Orléans sah. Gewiß hatte meine liebe Patin in ihrer Karosse nur
eine Ehrenjungfer bei sich und die Prinzessin Conti nur eine Gesellschafterin. Aber das war kein großes Verdienst. Bei den |264| umfänglichen Reifröcken der Fürstinnen hätte man schwerlich eine weitere Dame untergebracht.
Eine zweite Karosse führte sechs sorgfältig ausgesuchte Edelmänner des Hauses Guise mit, schön, prächtig geputzt und wehrhaft,
aber nur zur Schau, denn bei einer Eskorte von sechstausend Schweizern hatte der königliche Zug selbst von Habenichtsen
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