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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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das vielgerühmte Licht dort und die prächtigen Schlösser, um die man Frankreich in aller Welt beneidet! Und wenn Sie Ihre
     guten Mahlzeiten unterwegs in Gasthäusern halten können, wo es bestimmt nicht an hübschen Toinons und Louisons mangeln wird!«
    »Madame, Sie wissen gut, daß ich mich von solchem Brot nicht mehr nähre, seit ich Sie kenne.«
    »Na und? Es kann ja auch eine hohe Dame sein, die ihre Pariser Tugend in Ihren Armen vergessen möchte! Ich weiß doch, was
     die Elle dieser Schönen vom Hofe taugt!«
    »Meine Liebste, bitte! Ihre Phantasie dichtet sich ja einen ganzen Roman zusammen! Tatsächlich werde ich die Reise in der
     Karosse meines Vaters machen und die meiste Zeit auch darin schlafen, denn der königliche Aufzug wird so zahlreich sein, daß
     wir kaum mit einem Nachtquartier rechnen können!«
    »Ach!« sagte sie. »Ihr Vater reist mit Ihnen!«
    »So ist es.«
    »Nun ja, er ist ein höchst ehrenwerter Mann und ein vorzüglicher Arzt, aber wenn das der Anstandsmantel ist, der Ihre Tugend
     schützen soll, kann er leicht beim ersten Wind verwehen, denn wenn ich Bassompierre glauben darf, waren die Frauen, die Ihrem
     Herrn Vater in Frankreich, England, Italien oder Spanien wohlwollten, so zahlreich wie die Sterne am Augusthimmel!«
    »Madame«, sagte ich mit einiger Entrüstung, »muß ich die genaue Replik meines Vaters sein, bis hin zu seinen Schwächen? Ist
     es gerecht von Ihnen, das zu unterstellen?«
    Mein Vorwurf traf sie. Und nun erkannte ich, welch großer Unterschied zwischen Frau von Lichtenberg und Madame de Guise bestand,
     die sich, wenn sie wütete, kein Gewissen daraus machte, in dem ausgefallensten Unsinn fortzufahren, während meine Gräfin –
     ob als gute Protestantin oder gute Pfälzerin, weiß ich nicht – sich ein Gewissen daraus machte, auch im Zorn nicht ungerecht
     zu sein.
    Sie schlug die Augen nieder, Schweißtropfen perlten auf ihrer Stirn, sie schlang die Hände um ihre Knie und saß eine |261| Weile so ohne Bewegung, wenn auch noch schwer atmend, um zu sich zu kommen und ihre Erregung zu beherrschen. Und ich, der
     ich ihretwegen eifersüchtig war wie ein Türke und schon in üble Laune geriet, wenn nur ein Diener sie ansah, empfand Nachsicht
     mit ihrem Zorn und Mitgefühl für ihr Rasen. Außerdem verstand ich gut, daß unser Altersunterschied ihre Leiden schlimmer machte,
     weil sie ja wußte, daß ihre Schönheit im letzten Feuer strahlte und einen so jungen Liebhaber, auch wenn er noch so glühend
     war, nicht bis ans Ende ihrer Erdentage fesseln konnte.
    Ich blieb stumm, denn nach dem Vorwurf, den ich ihr gemacht hatte, wollte ich sie nicht noch mehr beschämen, zumal ich mir
     sicher war, daß sie nun durchaus fühlte und begriff, wie ich an diese Reise nach Westen dachte, nämlich zweifellos schwer
     betrübt bei dem Gedanken, meine geliebte Gräfin so viele Wochen nicht zu sehen, aber zugleich voller Neugier auf das große
     Abenteuer, von dem ich mir viel versprach, aber doch nicht, was sie sich vorstellte. Schöne Leserin, Sie, die Sie jetzt wärmstens
     Partei für Frau von Lichtenberg nehmen, bitte, nehmen Sie mir das Geständnis nicht übel: ich war blutjung damals, und meine
     Augen öffneten sich der Welt mit einer Begier, die ich mir heute nur noch schwer vorstellen kann.
    »Pierre«, sagte sie endlich mit leiser, müder Stimme, »ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung dafür, daß ich so von Ihrem
     Herrn Vater gesprochen und Sie so ohne jeden Grund verdächtigt habe, einfach nur aus meinen Ängsten heraus.«
    »Ach, meine Liebste!« rief ich, schmiegte mich an ihre Knie und küßte ihre Hände und ihre schönen bloßen Arme, »bitten Sie
     mich doch nicht um Verzeihung, und begraben wir diesen Streit! Habe ich Sie nicht auch eines Tages wegen Bassompierre ausgezankt?
     Und wissen Sie denn nicht, daß Sie der ganze Horizont meines Lebens sind und daß es keine Dirne, keine hohe Dame gibt, die
     sich auch nur einen Seufzer lang zwischen uns drängen könnte? Bei der Heimkehr von dieser großen Reise werden Sie mich finden
     wie heute: ich sehe nur Sie, höre nur Ihre Stimme, lebe nur in Sehnsucht nach Ihnen, atme nur durch Sie.«
    Aber es war, als hätten meine Worte, meine Gründe nicht mehr die Kraft, sie zu erreichen, so abgewandt war sie, so traurig
     still hinter den gesenkten Lidern, als hörte sie nur mehr den |262| eigenen Gram. Ich hatte sie immer so in sich ruhend gekannt, so maßvoll, so Herrin ihrer selbst, gewissermaßen

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