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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Gerede noch die Zunge verdirbt.«
    »Und die Ohren durch zu vieles Lauschen«, sagte mein Vater lachend. Und als er sah, daß Mariette unter dem Vorwand, aufzudecken,
     solange wie möglich im Raum bleiben würde, um herauszukriegen, weshalb wir drei wohl so aufgeräumt |256| waren, zog er uns in die große Fensternische zum Hof.
    »Mein Sohn«, sagte er leise, »könnt Ihr mir genau wiedergeben, wie Ludwig sich mich betreffend ausgedrückt hat? Will er mir
     Fragen stellen in Blois oder über Blois?«
    »Nun«, sagte ich und prüfte mein Gedächtnis, »mir scheint, er hat ›über Blois‹ gesagt.«
    »So so!« sagte mein Vater.
    »Ist das ein Unterschied?« fragte ich.
    »Ein gewaltiger. Ich wüßte nämlich nicht, was Ludwig mich in Blois fragen könnte, aber was er über Blois wissen will, ist
     mir klar.«
    »Herr Vater«, sagte ich, »Ihr sprecht in Rätseln. Ich verstehe Euch nicht.«
    »Wie solltet Ihr, mein Sohn«, sagte er lächelnd, »wart Ihr 1588 schon geboren?«
    »Möschjöh le Marquis«, sagte Mariette voller Hoffnung, unsere Reden besser zu verstehen, wenn wir erst am Tisch säßen, »wollt
     Ihr bitte Platsch nehmen, der Tisch ist gedeckt, ich will auftragen.«
    Sie muß sehr enttäuscht gewesen sein, denn während der ganzen Mahlzeit fielen unsere Reden spärlich aus. La Surie konnte seine
     Freude nicht genug in Schweigen auskosten, mein Vater war ernst und nachdenklich, und ich, wie man sich vorstellen kann, zwischen
     zwei großen Gefühlen hin und her gerissen.
    »Ich höre«, sagte mein Vater, »der König geht heute nach Saint-Germain-en-Laye?«
    »In der Tat, Herr Vater.«
    »Fahrt Ihr mit?«
    »Nein, Herr Vater. Er hat mich freigestellt.«
    »Dann braucht Ihr Euren Besuch in der Rue des Bourbons nicht abzusagen?«
    »Nein.«
    Damit herrschte Schweigen am Tisch, bis Mariette das Dessert holen ging und mein Vater fragte: »Ist Euch vor dem Besuch sehr
     bange, Pierre?«
    Obwohl Mariette nicht da war, fragte er es leise und in so besonderem Ton, daß La Surie den Kopf hob und mich aus seinen verschiedenfarbigen
     Augen ansah, von denen das blaue so |257| scharf und das braune so warmherzig blicken konnte, jedenfalls wenn der Blick meinem Vater oder mir galt.
    »Ja«, sagte ich, »ein bißchen schon.«
    Das war die ganze Unterhaltung. Nach dem Essen zog ich mich in meine Kammer zurück und streckte mich bei geschlossenen Fensterläden
     aufs Bett, bis die Mietkutsche eintreffen würde, die mich zu Frau von Lichtenberg bringen sollte. Die Hitze war so stark,
     daß ich auch ohne Arme oder Beine zu rühren in einem fort schwitzte, was die wachsende Beklommenheit noch verstärkte, mit
     der ich dem Augenblick entgegensah, wenn ich meiner Gräfin gegenübertreten würde.
    Obwohl ich die Gründe für die große Reise nach Westen kannte und wußte, welche Wirkungen man sich davon versprach, hatte ich,
     weil ich an dieser Entscheidung keinen Anteil hatte, zunächst nicht damit gerechnet, daß ich dazu aufgefordert würde, weil
     es im Louvre hieß, die Zahl der teilnehmenden königlichen Amtsträger würde stark begrenzt sein.
    Der König hatte anders entschieden. Und trotzdem, so fremd ich dem Beschluß zu diesem Vorhaben auch war –, als Herr von Beck
     mich durch das Labyrinth des Hauses Frau von Lichtenbergs führte, wobei er hundertmal wiederholte, wegen der großen Hitze
     habe man das Zimmer der Gräfin in den Nordflügel verlegen müssen, plagten mich dunkle Schuldgefühle gegen Frau von Lichtenberg.
    Sie saß wie gewohnt im Lehnsessel bei ihren Waffeln, aber diesmal hatte die Hitze Baskine, Mieder und Reifrock verbannt, jene
     Art Panzer, aus dem sie sich gerne von mir schälen ließ, wenn sie nach dem rituellen Imbiß in ihrem Zimmer war. Zum erstenmal
     nun trug sie ein ganz leichtes, weich fallendes Hauskleid, dem antiken Peplum ähnlich, das Hals, Schultern und Arme freiließ.
     Sogar ihre Füße, deren Eleganz ich bewunderte, sah ich nackt, und ihre durchbrochenen Pantöffelchen lagen ungenutzt auf dem
     Teppich.
    Ich küßte ihre Hand, und unendlich entzückt von den Reizen ihrer ungewohnten Kleidung, verschlang ich sie mit meinen Blicken,
     und es war, als träfe sie die Botschaft meiner Augen, auf die sie doch hatte gefaßt sein dürfen, wie eine Überrumpelung; denn
     blieben ihre Hände auch fähig, die Waffel wie gewohnt zu bestreichen, begannen ihre Wimpern zu schlagen und |258| ihre Ohrringe zu zittern, daß ihr unmerkliches Klirren mich mit Wonneschauern erfüllte.
    Dennoch

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