Königskind
jedes Jahr eine Steuer an den Staatsschatz
entrichten, die den sechzigsten Teil des Kaufpreises beträgt. Ich zahle jährlich tausendsechshundertsiebzig Livres.«
»Und, ich wette, das schmerzt Sie, mein armer Pierre?«
»Ganz im Gegenteil. Ich bin es sehr zufrieden, denn die Paulette enthebt mich, wenn ich eines Tages alt und grau bin, der
finsteren Vierzig-Tage-Regel. Nehmen wir einmal an, ich bin stockalt und sehe dem Tod entgegen, dann kann ich mein Kammerherrenamt
an meinen ältesten Sohn abtreten – einen Sohn, der noch nicht einmal geboren zu sein braucht. Aber laut besagter Regel muß
ich diese Abtretung mindestens vierzig Tage überleben, sonst ist sie ungültig. Sie sehen also, meine |299| Liebste, wenn ich will, daß mein Ältester mein Amt erbt, muß ich mein Sterben exakt berechnen, was gar nicht so einfach sein
soll, wie ich hörte.«
»Das ist ja eine schreckliche Regel! Ein Glück nur, daß die gute Paulette sie bricht!« rief Frau von Lichtenberg.
»Sie bricht sie nicht nur, meine Liebste! Sie hat auch, ob man will oder nicht, die Erblichkeit der Ämter zur Folge. Ihre
Übertragung vom Vater auf den Sohn wird durch die Paulette derart erleichtert, daß sie fast mechanisch vonstatten geht. Und
das ärgert den Geburtsadel gewaltig, der, verglichen mit dem Dritten Stand, tatsächlich nur wenige Ämter innehat.«
»Und warum?«
»Weder hat er das Geld, sie zu kaufen, noch die Fähigkeiten, sie auszufüllen, ungebildet, wie er ist.«
»Frankreichs Adel ungebildet! Ihr Vater und Sie ungebildet?«
»Mein Vater und ich gehören zu den glanzvollsten Ausnahmen des Jahrhunderts.«
»Monsieur«, sagte meine Gräfin und gab mir einen kleinen Kuß, »Sie sind ein großer Laffe.«
»Madame«, sagte ich, »wenn Sie mich so bestrafen, kann ich nicht mehr damit aufhören.«
»Zur Sache: der Adel bekämpft also die Paulette.«
»Aus dem genannten Grund. Er bekämpft aber auch ihre Folgen. Indem sie nämlich die Erblichkeit der Ämter erleichtert, erschafft
die Paulette allgemach einen bürgerlichen Amtsadel, der viel reicher und im Staat einflußreicher ist als der Geburtsadel und
der oft genug in diesen einheiratet. Daher die Erbitterung und Schärfe – Neid gepaart mit Verachtung – gegen den Dritten Stand.«
»Und wie hat der Dritte Stand diesen boshaften Schlag pariert?«
»Wer im Handel, in Bank- und Steuergeschäften erfolgreich war, Liebste, der ist auch listig und beschlagen. Der Dritte Stand
akzeptierte, oder vielmehr tat er so, als akzeptiere er, die Abschaffung der Paulette, forderte aber im Gegenzug, die Steuern
zu senken, um dem armen Volk das Leben zu erleichtern, das ihn sonst durchaus nicht kümmert. Und weil einerseits die geforderte
Steuersenkung sich auf vier Millionen Livres beliefe und andererseits die Abschaffung der Paulette |300| einen Steuerverlust von eineinhalb Millionen Livres bedeuten würde, verlangte der Dritte Stand zur Behebung des Defizits gleichzeitig,
daß die Pensionen, die dem Adel gezahlt werden, um eine Million sechshunderttausend Livres vermindert werden.«
»Eine gesalzene Gemeinheit, scheint mir!« sagte meine Gräfin.
»Und bestimmt hat sie die Liebe des Geburtsadels zum Dritten Stand nicht vermehrt. Beide Seiten wechselten die schärfsten
Worte. Der Redner des Dritten Standes wandte sich an den König, als er darlegte, daß nicht die Paulette den Schwertadel von
Ämtern fernhalte, sondern ›sein uralter Glaube, daß Wissen und Studium den Mut schwächen‹.«
»Glaubt der Adel das wirklich?«
»Und ob! Das ist eine so wahre Feststellung, daß man sie besser nicht ausgesprochen hätte! Der Adel schrie auf vor Kränkung.
Die Geistlichkeit mischte sich ein. Und Richelieu, der quirlige, sprühende junge Bischof von Luçon, der in den Intrigen der
Generalstände zu Hause ist wie ein Fisch im Wasser und jede Gelegenheit nutzt, sich ins rechte Licht zu setzen, forderte den
Dritten Stand schließlich auf, ›dem Adel einige Genugtuung und Befriedigung zu geben‹. Beachten Sie, Liebste, daß der ungemein
schlaue Prälat das Wort ›Ent schuldigungen ‹ nicht aussprach. Trotzdem brachte Henri de Mesmes im Namen seines Standes solche Entschuldigungen vor, aber mit einem solchen
Stolz, daß sie noch tiefer verletzten. Mein Vater hat seine schneidenden Worte eilends notiert, und weil ich sie bewundernswert
fand, habe ich sie mir eingeprägt. Ist Ihr reizendes Ohr dafür empfänglich?«
»Ich lausche Ihnen nur zu gern,
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