Königskind
ungemischte Achtung vor dem Stand, dem er selbst angehörte. Obwohl er durch seine Mutter,
eine Caumont aus dem Périgord, einer uralten Familie entstammte, fühlte er sich mehr als Siorac denn als Caumont und verleugnete
in keiner Weise die Tugenden seines Großvaters Charles Siorac, Apotheker zu Rouen, der, nachdem er Seigneur de la Volpie geworden
war, weil er die Mühle dieses Namens gekauft hatte, verstohlen ein ›de‹ zwischen Charles |303| und Siorac schob. Und obwohl dieses ›de‹ rechtmäßig geworden war, als unser König den Hauptmann Jean de Siorac, den Sohn,
für seine Tapferkeit auf den Schlachtfeldern adelte, ließ mein Vater sich durch diesen jungen Glanz nicht blenden, ebensowenig,
wie ihm der Kamm geschwollen war über die große Erhöhung, die er unter Heinrich III. und Henri Quatre erfahren hatte. Gewiß
hielt er auf seinen Rang und schätzte ihn dafür, daß er ihn sich unter mancherlei Gefahren durch seine Missionen erworben
hatte, aber in der Haut des Marquis’ lebte immer noch ein gelehrter und arbeitsamer Bürger, der größeren Wert auf die gute
Führung seiner Landwirtschaft und seiner Finanzen legte als auf das gemalte Wappen an seiner Kutsche.
* * *
Der Streit zwischen dem Dritten Stand und dem Geburtsadel hatte sich kaum beruhigt, als ein neuer Streit die Generalstände
erschütterte, zwischen der Geistlichkeit und dem Dritten Stand nämlich, und dieser ging weit über verletzte Eitelkeiten oder
Interessen hinaus, wie die Paulette sie verursachte, und erwies sich als entschieden ernster, nicht allein, weil er an die
Grundfesten der Monarchie rührte, sondern auch, weil er bei allen Zeitzeugen, wie meinem Vater, die Erinnerung an die abscheulichen
Morde weckte, denen Heinrich III. und Henri Quatre zum Opfer fielen.
Für den Dritten Stand wie für das gallikanisch gesinnte Parlament von Paris 1 hatten hinter den Fanatikern, die Frankreichs Thron zweimal mit Blut besudelt hatten, die ultramontanen Theorien der Jesuiten gestanden, nach denen es zulässig war, daß
der Papst einen König exkommunizierte, ja ihn sogar absetzte und daß seine Untertanen ihn töteten, sobald sie ihn als Tyrannen
empfanden.
Jene entsetzlichen Mordtaten und die gefährliche Doktrin im Sinn, die sie inspiriert hatte, wollte der Dritte Stand an die
erste Stelle der Grundgesetze des Reiches den folgendermaßen lautenden Artikel setzen: »Der König ist anerkannter Souverän
in seinem Staat, und da er seine Krone allein von Gott hat, gibt es |304| keine Macht auf Erden, sei sie geistlich oder zeitlich, die das Recht hätte, ihn seines Reiches zu berauben. Die gegenteilige
Meinung, nämlich daß es zulässig sei, unsere Könige zu töten oder abzusetzen, ist unfromm, verabscheuenswürdig, gegen die
Wahrheit und gegen die Einrichtung des französischen Staates, der einzig und unmittelbar von Gott abhängt.«
Sobald der Klerus von diesem Artikel Kenntnis erhielt, sah er die Suprematie des Papstes über die Fürsten der Christenheit
in Gefahr und reagierte mit aller Härte. Er entsandte zu den Abgeordneten des Adels den Kardinal Du Perron, der um so weniger
Mühe hatte, sie vom verderblichen Charakter dieses Artikels zu überzeugen, als der Dritte Stand dessen Urheber war. Und Du
Perron, an der Spitze von rund dreißig Bischöfen und rund sechzig Abgeordneten des Adels, die ihn zur Verstärkung begleiteten,
begab sich eilends zu der Kammer, wo der Dritte Stand versammelt war. Zu dieser glänzenden Delegation gesellte sich auch mein
Vater, doch nicht aus Feindseligkeit gegen den ersten Artikel, sondern vielmehr aus Neugier.
Was nun geschah, erzählte uns mein Vater beim Abendessen im Champ Fleuri, und zwar bald auf französisch, bald, wenn Mariette
erschien, auf lateinisch – die das in der Küche unser Kauderwelsch nannte –, und natürlich fragte ich meinen Vater, weshalb
er so neugierig auf die Verlautbarungen des Kardinals Du Perron war, weil dieser doch als ultramontaner Parteigänger einer
absoluten päpstlichen Macht bekannt war und seine Position auch bei dieser Gelegenheit niemanden überraschen konnte.
»Nicht seine Rede interessierte mich, sondern seine Person«, sagte mein Vater. »Wir kannten uns in unseren grünen Jahren,
als er Vorleser Heinrichs III. war und ich einer der Ärzte des Königs. Damals hieß er noch Jacques Davy.«
»War er da auch schon so fromm?«
»I wo! Er trieb es genauso bunt wie ich damals.«
»Herr Marquis«, sagte
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