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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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einberufen, wird Condé es ihrer Regierung
     eines Tages unfehlbar zum Vorwurf machen.«
    »Die Generalstände sollen doch die Mißbräuche abschaffen«, sagte La Surie.
    »Glaubst du das wirklich, Miroul?« fragte mein Vater lächelnd. »Rechnest du darauf, daß der Adel dem König anbieten wird,
     er wolle künftig auch Steuern zahlen? Daß die Geistlichkeit sich weigert, weiterhin den Zehnten zu erheben? Und daß der Dritte
     Stand auf die Ämterkäuflichkeit verzichtet?«
    »Mir scheint«, sagte La Surie, »wenigstens der Dritte Stand müßte einige Anstrengungen machen, das Volk aus seinem Elend zu
     erlösen.«
    »Dazu, Miroul, müßte der Dritte Stand erst einmal das Volk repräsentieren! Aber die große Mehrheit seiner Abgeordneten sind
     Bürger, die mit königlichen Finanz- oder Justizämtern wohlversorgt sind und daraus soviel Gewinn wie möglich schlagen, um
     sich für den teuren Kaufpreis zu entschädigen. Du findest nicht einen Handwerker unter ihnen, nicht einen Bauern. Da sage
     einer, das Volk wird gut vertreten!«
    »So, so, Herr Abgeordneter«, sagte La Surie. »Was wollen die drei Stände denn sonst?«
    »Sich heftig miteinander streiten und den König zum Schiedsrichter ihrer Streiterein anrufen.«
    |297| »Und was weiter?«
    »Sie werden ihre Beschwerden niederlegen und dieses Kompendium zum Schluß dem König überreichen.«
    »Und was macht der König damit?«
    »Wahrscheinlich gar nichts.«
    »Also ist es nur eine Farce!« sagte La Surie mehr bekümmert als verächtlich, weil er irgendwie den Glauben hegte, daß es mit
     der menschlichen Gesellschaft doch aufwärts gehen müsse. Woher er diesen Glauben nahm, kann ich mir nur damit erklären, daß
     er selbst im Lauf seines Lebens aus der äußersten Armut bis in den Schwertadel aufgestiegen war.
    »Natürlich kann man das Ganze als eine Art Komödie ansehen«, sagte mein Vater. »Aber was unterhaltsam ist, wird auch lehrreich
     sein. Deshalb habe ich die Rolle angenommen.«
    »Werdet Ihr auf den Sitzungen auch das Wort ergreifen, Herr Vater?« fragte ich.
    »Ich werde mich hüten! Wer in solcherart Versammlungen nicht den Leidenschaften schmeichelt, kann nicht auf Zustimmung hoffen.
     Spricht man aber, wie ich es wünschte, zur Sache, hat man mit einem Schlag eine Menge Feinde auf dem Hals.«
    »Wenn Ihr bei allen Sitzungen schweigen wollt, wozu geht Ihr dann hin?« fragte La Surie.
    »Miroul, ist deine Frage nicht ein bißchen giftig?« fragte mein Vater süßsauer.
    »Nein, mein Herr.«
    »Gut, dann antworte ich dir:
primo,
ich werde die Ohren offenhalten und euch jeden Abend getreulich berichten, welche Torheiten dort gesagt worden sind, dann
     seid Ihr unterrichtet.
Secundo
, ich werde mich zu denen schlagen, welche die Beschwerdeschriften verfassen, und die Beschwerden meiner Wähler mit hineinschreiben.«
    »Ihr sagtet doch, Herr Vater, diese Schriften würden nichts nützen?«
    »Gewiß. Aber es wird meinen edlen Wählern die Genugtuung bereiten, daß ihre Beschwerden niedergelegt worden sind.«
    »Da haben sie aber was von!« sagte La Surie.
    »Wieso?« fragte mein Vater. »Die Genugtuung zu haben, |298| daß man sich beklagen kann – ist das nichts? Wollt Ihr die Lust der Franzosen, zu schimpfen, abschaffen?«
    Mein Vater hielt Wort und gab uns allabendlich einen ›ge treulichen Bericht‹, der in der Tat für mich so lehrreich war wie ergötzlich für Frau von Lichtenberg, wenn ich ihr die interessantesten
     Episoden weitererzählte.
    Sie verwunderte sich nämlich jedesmal, wie die Franzosen so närrisch sein konnten, ihrem Fürsten Lehren erteilen zu wollen
     und auch noch zu hoffen, er werde darauf hören. In dem Punkt konnte ich sie aber ganz beruhigen, ebenso über die Häufigkeit
     der Generalstände, denn die letzten waren siebenundzwanzig Jahre her 1 und hatten durch einen Doppelmord ein vorzeitiges Ende genommen.
    »Pierre, wie steht es denn mit dem Palaver Eurer drei Stände?« fragte sie oft, wenn wir uns aneinander gesättigt hatten und
     ihr schöner Kopf auf meinem Arm ruhte.
    »Immer übler steht es«, sagte ich. »Der Adel attackiert den Dritten Stand.«
    »Warum?«
    »Er fordert den Tod der Paulette.«
    Frau von Lichtenberg sah mich erschrocken an.
    »Wer ist die Frau? Und warum soll sie sterben?«
    »Ach, es ist doch keine Frau!« rief ich lachend. »Es ist eine jährliche Steuer, die unter Henri Quatre erfunden wurde von
     einem Mann namens Paulet. Alle, die wie ich ein königliches Amt gekauft haben, müssen

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