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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Majestätsbeleidigung.«
    »Gleichwohl, Herr Marquis«, sagte La Surie mit einem kleinen Blitzen seines blauen Auges, »darf ich Euch darauf aufmerksam
     machen, daß es in Frankreich jetzt zwei Majestäten gibt: die Königinmutter und den König.«
    »Und?« sagte mein Vater.
    »Wer die eine beleidigt, beleidigt ja die andere nicht.«
    * * *
    Ich habe die Geschichte meines kleinen Königs hier der meinen vorangestellt, aber wie der Leser sich wohl denken kann, war
     mein erster Gedanke, als ich einen Tag vor dem König von der großen Reise heimkehrte, kaum daß ich die Stiefel abgeworfen
     hatte, Frau von Lichtenberg durch Brief und Boten mitzuteilen, wie leidenschaftlich ich sie wiederzusehen wünschte.
    Als ihre Antwort auf sich warten ließ, geriet ich fast von Sinnen, marschierte in meiner Kammer auf und ab, setzte mich, stand
     auf, warf mich aufs Bett und verwünschte den Schlingel, der sicherlich wie alle Laufburschen durch die Gassen trödelte, an
     jeder Ecke stehenblieb und Maulaffen feilhielt bei den Gauklern und Taschenspielern auf dem Pont-Neuf, anstatt zu fliegen
     und mir die erwartete Botschaft zu bringen.
    Endlich kam der herzlose Unhold! Ich sprang die Wendeltreppe hinunter und war vor ihm an der Haustür, wo er mir mit seinen
     schmutzigen kleinen Händen das Billett meiner Gräfin entgegenstreckte, als wäre es ein Küchenlappen und nicht ein ebenso kostbarer
     Brief wie ein königliches Sendschreiben; ja, während ich die Botschaft entfaltete, blieb der Strolch auch noch vor mir stehen
     in Erwartung eines Trinkgelds. Ich gab ihm eine Handvoll. »Herr Chevalier!« sagte Franz, »das ist doch zuviel! Ihr verderbt
     uns den kleinen Burschen.« Doch ich hörte es kaum. Eilends stieg ich zu meiner Kammer hinauf, riegelte ab und las.
     
    |293| Mein Freund,
    Ich wäre sehr glücklich, wenn Sie mich heute um drei Uhr in meinem Hause besuchen könnten. Sie werden einen Verwandten bei
     mir finden, der hier einige Tage verbringt, doch wenn Sie sich bis nach meinem Imbiß gedulden würden, könnten Sie mich unter
     vier Augen sprechen. Bis bald, mein Freund,
    Ihre ergebene Dienerin
    Ulrike.
     
    Das mindeste, was ich von diesem Billett sagen kann, ist, daß es mich nicht überglücklich machte. Frau von Lichtenberg hatte
     mir nur sehr selten und sehr wenig über ihre Pfälzer Verwandten erzählt, ich wußte lediglich, daß der Tod ihres Vaters unerquickliche
     Erbstreitigkeiten zur Folge gehabt hatte, daß sie der herrschenden Familie angehörte und sie die Cousine des Kurfürsten war,
     der ihr Steine in den Weg gelegt hatte, als sie zurückwollte nach Frankreich. Außerdem glaubte ich verstanden zu haben, daß
     sie zwei Söhne hatte, die am Hof Friedrichs V. lebten, aber ich wußte weder, wie alt sie waren, noch wie sie hießen oder wie
     sie zu ihrer Mutter standen. Denn natürlich hätte sie mit dem Alter ihrer Söhne mir auch das ihre verraten, was sie aber unter
     keinen Umständen wollte, in dem Punkt war sie zu Recht heikel.
    Wie dem auch sei, dieser ›Verwandte‹, der da bei ihr war, ärgerte mich. Wieso hatte sie nicht klar gesagt, wer es war, ein
     Onkel, Neffe oder Cousin! Wo man liebt, wird einem alles Unbekannte zur Bedrohung. Man möchte das geliebte Wesen durchsichtig
     wie Glas. Man möchte so vollständig wie möglich wissen, was es sagt, was es tut, welche Personen es trifft, welche Empfindungen
     es hat und welche Gedanken. Und selbst dann, scheint es, wäre man noch immer nicht zufrieden.
    Herr von Beck führte mich nicht, wie ich es erwartete, in das Kabinett vor dem Zimmer meiner Gräfin, sondern in den großen
     Saal im Erdgeschoß, wo ich Frau von Lichtenberg im Gespräch mit einem jungen Edelmann erblickte, der zärtlich ihre Hand hielt.
     Sie entzog sie ihm, um sie mir zum Kuß zu reichen, und als ich mich voller Verwirrung aufrichtete, stellte sie mir Erich von
     Lichtenberg vor.
    »Erich«, sagte sie dann, »dies ist der Chevalier de Siorac, von dem ich Ihnen erzählte. Seien Sie nett zu ihm, er ist ein
     sehr guter Freund.«
    |294| »Eine unnötige Empfehlung«, sagte Erich und verneigte sich anmutig. »Herr Chevalier de Siorac hat alle Liebenswürdigkeit des
     französischen Hofes. Man braucht ihn nur anzusehen.«
    Ich fand das Kompliment ein bißchen geradezu, trotzdem erwiderte ich es sogleich, aber, weiß der Teufel, ich kann mich weder
     meiner Worte erinnern noch mich entsinnen, um welche Nichtigkeiten die Unterhaltung sich drehte, weil mein Kopf wütend

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