Königskind
beschäftigt
war mit der Frage, wer dieser Erich war und was er bei meiner Gräfin zu suchen hatte.
Denn ich kann es länger nicht verhehlen, Leser, daß Ulrikes ›Verwandter‹ ganz mein Alter hatte und mich regelrecht niederschmetterte
durch seine blendende Schönheit. Er war groß, sehr wohlgestalt, hatte gelockte dunkle Haare, große, liebkosende Augen und
so ebenmäßige wie männliche Züge. Und als wäre das noch nicht genug des Guten, sprach er ein elegantes Französisch, sehr geistvoll
und mit einer völlig entwaffnenden Freundlichkeit. Aber das Schlimmste war, daß er mich überaus zugetan anblickte, während
ich, sosehr ich ihm zulächelte, ihm tausend Tode an den Hals wünschte dafür, daß er da war.
Frau von Lichtenberg blieb so ruhig zwischen uns beiden, so gefaßt, so heiter, verteilte ihr Lächeln und ihre Huld so gerecht,
daß mich plötzlich die Wut packte, diese ach so schöne Harmonie zu sprengen, alles augenblicklich hinzuwerfen, Schluß zu machen
und auf ewig zu brechen mit dieser Dämonin, die mich nur hatte kommen lassen, damit ich Zeuge meines Unglücks würde. Tausend
Verrücktheiten schossen durch meinen tobenden Sinn, deren nicht geringste es war, Erich auf der Stelle zu fordern und ihm
meinen Degen durch den Leib zu rennen.
Endlich erhob sich mein Nebenbuhler, nahm Urlaub von Frau von Lichtenberg und mir, den er bald wiederzusehen hoffte, wie er
sagte, so sehr liebe er mich bereits (haben Sie das gehört, Leser!). Meine Gräfin stand ebenfalls auf und begleitete ihn zur
Tür, wo die beiden leise Worte wechselten, was mich rasend machte, was aber noch nichts war im Vergleich zu dem, was folgte,
denn als meine Gräfin die Tür öffnete, um ihn hinauszulassen, nahm Erich sie auf die natürlichste Weise der Welt in die Arme
und küßte sie auf den Mund.
Die Tür fiel mit einem Klacken hinter ihm zu, das mir das Ende meiner Liebe zu besiegeln schien. Ich war zu keinem |295| Worte fähig. Ich sah Frau von Lichtenberg auf mich zukommen, die mich mit unschuldiger, vergnügter Miene ansah, als wäre in
diesem verwünschten Saal nichts geschehen, was mich irgend hätte kränken können.
»Nun, mein Freund?« fragte sie mit ihrer ganzen teuflischen Falschheit, »wie finden Sie meinen Erich?«
Ich kam nicht dazu, ihr zu antworten und meine Galle gegen diese verräterische Schlange mit weiblichem Haupt zu entladen.
Es wurde an die Tür geklopft, und als die Gräfin »Her ein !« rief, erschien Herr von Beck und sagte: »Entschuldigen Sie, gnädige Frau, der Herr Graf hat seine Handschuhe hiergelassen.«
»Sie liegen auf seinem Stuhl«, sagte die Gräfin, »nehmen Sie sie nur.«
Sowie von Beck hinaus war, fand ich meine Stimme und ein wenig auch meine Sinne wieder.
»Wie, Madame!« sagte ich. »Erich ist Graf? Sie haben ihn mir doch als Erich von Lichtenberg vorgestellt!«
»Ist das unvereinbar?« fragte sie und hob schalkhaft die Brauen. »Ist es nicht auch in Frankreich Brauch, daß der älteste
Sohn den Titel seines Vaters übernimmt?«
»Wie grausam Sie sind!« rief ich. »Sie haben mich hereingelegt! In Ihrem Billett nannten Sie ihn Ihren Verwandten!«
»Ja, und?« fragte sie mit zärtlichem Spott, »ist mein Sohn nicht mein Verwandter?«
»Ihr Sohn, Madame! Ihr Sohn! Konnten Sie mir das nicht gleich sagen? Ist das nicht der boshafteste Streich, den man einem
Liebenden spielen kann?«
»Sicher«, sagte sie mit einem etwas traurigen Lächeln, »aber bedenken Sie auch, mein Pierre, daß Ihre Qualen keine zehn Minuten
gedauert haben, meine dagegen zwei Monate und zehn Tage. Sie sind gut dran. Bitte, verzeihen Sie mir die kleine Gemeinheit.
Nach allem, was ich in meinem Herzen und meiner Phantasie während Ihrer langen Abwesenheit gelitten habe, tat es mir wohl,
Sie ein klein wenig auf die Folter zu spannen.«
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|296| ELFTES KAPITEL
»Weiß der Teufel, wozu diese Generalstände gut sein sollen«, sagte mein Vater an dem Tag, als er – und durchaus nicht wider
Willen – zum Abgeordneten des Adels von Montfort-l’Amaury gewählt worden war. »Die Großen haben sie doch nur lauthals gefordert,
um ihrer Habgier das Mäntelchen des öffentlichen Wohls umzuhängen. Und weil sie sich mit der Regentin jetzt vertragen haben,
würden sie am liebsten drauf verzichten. Schamlos hat Condé der Regentin vorgeschlagen, sie gar nicht abzuhalten, aber die
Minister haben sofort abgelehnt, weil sie, nicht ohne Grund, meinen, wenn sie sie nicht
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