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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Schmerz das für die beiden sein wird! Keine rührenden kleinen Geschenke mehr!
     Keine königlichen Omelettes! Keine kindlichen Verse mehr über einen hinkenden Frosch!«
    Sie lächelte, und gleichzeitig sah ich Tränen in ihren Augen. Ihre Rührung ging mir nahe. Ich liebte sie über alles für ihr
     zärtliches Herz. Ich nahm sie in die Arme, um sie zu trösten, und das, was sie ›unser Geplauder hinter den Gardinen‹ nannte,
     wurde unterbrochen. Doch konnten unsere sonst so vergnügten Umarmungen sie an diesem Tag nicht von der Melancholie heilen,
     die sich auf ihrem schönen Gesicht malte. Und als die Stunde meines Aufbruchs schlug, sagte sie tieftraurig: »Schon? Sie wollen
     schon gehen! Ach, wie ich diese Trennungen hasse!«
    Und ich begriff, daß ihre Tränen um Madame sich mit ihren eigenen gemischt hatten. Als sie mich von jener Reise an die spanische
     Grenze sprechen hörte, war ihr plötzlich klar geworden, daß ich den König dorthin begleiten mußte und daß uns abermals Wochen,
     vielleicht Monate trennen würden.
    * * *
    Diese Szene lag zwei Tage vor dem fünfzehnten Juli 1615, für den in meinem Tagebuch eine entrüstete, aber vorsichtig verschlüsselte
     Eintragung steht:
S. der B. eingesackt
(die Buchstaben bedeuten
Schatz
der
Bastille
), fünf Uhr nachmittags.
    Beachten Sie, Leser, daß diese schändliche Unternehmung nicht nachts und klammheimlich vonstatten ging, sondern am hellichten
     Tag und mit Pomp, unter Beteiligung aller illustren |314| Herrschaften des Reiches, als ob so edle und feierliche Anstalten in den Augen der Geschichte über Einbruch und Raub hinwegtäuschen
     könnten. Und seltsam, es war an jenem Tag – ich betone: an jenem Tag, nicht tags zuvor oder tags danach – eine so unmäßige,
     so erstickende Hitze in Paris wie seit Menschengedenken nicht.
    Vom Louvre bis zur Bastille mußten wir fast durch die ganze Stadt fahren. Nun hatte es am Tag vorher aber geregnet, so daß
     die Kruste des Pariser Pflasters sich in dicken, stinkenden Schlamm verwandelt hatte. Und obwohl die Sonne um fünf Uhr nicht
     mehr aus dem Zenit herniederbrannte, hatte sie die Hausmauern und die ekelhafte Kloake in den Straßen dermaßen erhitzt, daß
     wir beim Verlassen des Louvre glaubten, in einen pestilenzialisch dampfenden Schmelzofen zu rollen. Und einmal wäre Ludwig,
     der mich in seine Karosse eingeladen hatte, tatsächlich ohnmächtig geworden, glaube ich, wenn Héroard ihm nicht rasch ein
     essiggetränktes Tuch vor Nase und Mund gehalten hätte.
    Die Garden Seiner Majestät marschierten voraus, hintennach folgten an vierzig Karren, deren Bestimmung nur leider allzu offenkundig
     war, dazwischen bewegte sich das lange Band der wappengezierten Karossen, fuhr ohne weiteres durch die beiden Vorhöfe und
     gelangte, als die Zugbrücke der Bastille sich mit majestätischer Langsamkeit senkte, in den Haupthof.
    Es war das erste Mal, daß ich den Fuß in die gefürchtete Festung setzte, und ich tat es nicht ohne heimliches Schaudern, so
     schwer war es, saß man einmal darin, wieder hinauszukommen. Beweis: der Comte d’Auvergne, der seit 1604 hier eingesperrt war.
    Die Königin entstieg als erste ihrer Karosse, prächtig geschmückt und perlenübersät, das Gesicht rot, hoffährtig und entschlossen.
     Sie ließ sich von Monsieur de Vaussay, dem Gouverneur der Bastille, die Tür zum Schatzturm öffnen, und erklomm allein und
     ohne auf den König zu warten die Wendeltreppe. Es waren zweihundertzweiunddreißig Stufen, und als Madame von ihrem Sohn und
     seinem Gefolge – darunter ich – oben eingeholt wurde, schien sie mir mächtig zu schnaufen in ihrem Satingewand und ihrem schweren
     Schmuck.
    |315| Wie vermutet, war das dunkle Gemäuer, das man betrat, der Vorraum zur Schatzkammer. Monsieur de Vaussay, der vor der Königin
     mit zwei Garden hinaufgestiegen war, befahl diesen, die Fackeln an den Mauern zu entzünden, die alsbald recht kläglich einen
     kreisförmigen Saal erleuchteten. Ihre knisternden Flammen und die stetig wachsende Zahl der Würdenträger, die sich bald dort
     zusammendrängten, machten die feuchte, modrige Luft noch schwerer und vermehrten wohl auch das Unbehagen, das diese der königlichen
     Würde so unangemessene Szene bei den Anwesenden hervorrief. Gewiß sah man oben unter der Decke eine viereckige, vergitterte
     Luke, doch ließ sie zu wenig Luft herein, um den Atem so vieler Menschen zu nähren.
    Noch immer japsend vom Aufstieg, schien auch die Königin auf

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