Königskind
Königsmörder am Vorabend dieses Krieges reingewaschen wurde, ihm als unheilvolle Warnung erschien, wenn
nicht als Drohung.«
Hierauf gab Ludwig keine Antwort. In der ganzen Zeit – obwohl die Tür geschlossen war und ich meine Stimme zum Gemurmel dämpfte
– hatte Ludwig seine ›dicke Vitry‹ zum zweitenmal auseinandergenommen, ohne Eile diesmal, wie mechanisch, aber mit der wunderbarsten
Präzision, vielleicht, weil er ein Geräusch machen wollte, um meine Stimme zu überdecken, vielleicht aber auch, um die Erregung
abzufangen, die meine Antworten ihm verursachten. Er hielt den Kopf geneigt, seine langen schwarzen Wimpern bildeten einen
Schatten auf seinen runden Wangen, deren kindlichem Charakter sein langes österreichisches Kinn und die aufeinandergepreßten
Lippen widersprachen, die dennoch rot und voll waren und viel Lebenslust verheißen hätten, wäre er anders erzogen worden.
Ludwig war, wie er selbst sagte, ›kein großer Redner‹, weil er stotterte und sich dafür schämte, aber auch, weil er sich von
allen Seiten durch seine Umgebung bespitzelt fühlte und seine Seele obendrein mehrmals im Monat bis auf den Grund von Pater
Cotton erforscht wurde, der eine volle Stunde durch Fangfragen bis in jeden letzten Winkel der Sünde nachspürte, besonders
der Sünde des Fleisches.
Man schlug Ludwig nicht mehr, seit er für großjährig erklärt war, doch überwachte man ihn noch mehr, man unterrichtete ihn
so wenig wie möglich über Staatsangelegenheiten, hielt ihn bewußt in Unwissenheit, und obwohl er von einer Fülle von Menschen
umgeben war – zwei Kammerdiener wachten des Nachts über seinen Schlaf –, vermutete ich, daß er sich seltsam allein fühlte
in diesem großen Schloß, rings um sich nur eifersüchtige oder feindliche Mächte: seine Mutter, die Marschälle von Ancre, die
Minister, die Großen, Condé, Vendôme und |310| zuzeiten sogar ein Klerus, der kleinlichst auf den Rechten der Kirche bestand, ohne die seinen zu respektieren.
Nachdem Ludwig seine ›dicke Vitry‹ wieder zusammengesetzt hatte, putzte er sich die Hände lange mit einem Lappen, hob den
Kopf und sagte: »Sioac, habt Ihr gehört, was sich gestern im Rat abgespielt hat?«
»Ja, Sire. Bellegarde hat es mir erzählt.«
»Oh, Sioac!« sagte er in einem jähen Ausbruch von Kummer, der aber untergründig, wie verhalten blieb, »sie haben sich so arrogant
benommen! Sie haben es gewagt, Uns ewige Höllenqualen anzudrohen! Und dieser Condé, der die Stirn hatte, meinen Thron zu verteidigen!
Er!«
Mehr sagte er nicht, da er die Gewohnheit angenommen hatte, sich zu zügeln, sobald eine Erregung ihn davontragen wollte. Aber
er hatte genug gesagt, so daß dieses ›sie‹ und ›er‹ für mich Bände sprach. Wie ich beobachten konnte, bekundete Ludwig von
diesem Zeitpunkt an eine Art Aversion, wenigstens zog sein ganzes Sein sich gleichsam zusammen, wenn sich ihm ein Bischof
oder ein Kardinal nahte, ein Grund, scheint mir, weshalb er viel später so lange brauchte, bis er zu Richelieu Vertrauen faßte.
Was Condé betrifft, so empfand Ludwig gegen diesen immerfort Aufsässigen einen noch weit heftigeren Groll: Bellegarde, der
Mitglied des königlichen Rates war, bestätigte mir dies zwei Tage darauf, indem er mir einen Vorfall erzählte, dem er beigewohnt
hatte.
Den Anlaß dazu bot eine jener Barbareien, deren die Großen dieses Landes sich unter schwacher Herrschaft leicht schuldig machen.
Weil ein Vertrauter der Königin, Herr Marsillac, Condés Zorn erregt hatte, weshalb, wußte Bellegarde nicht zu sagen, jagte
dieser ihm seinen Favoriten Rochefort auf den Hals. Marsillac wurde gefaßt, erbarmungslos ausgepeitscht und auf offener Straße
liegengelassen.
Die Königin war schwer erzürnt, und nach Ratsschluß machte sie in Gegenwart des Königs Condé heftige Vorwürfe. Dieser erwiderte
dreist und scheute sich nicht, zu sagen, da der König großjährig sei, stehe er in seinem Dienst und nicht in dem seiner Mutter.
Ludwig empörte sich über die Unverschämtheit, die darauf abzielte, einen Keil zwischen die Königinmutter und ihn zu treiben.
|311| »Monsieur«, sagte er, »Ihr habt die Königin zu respektieren, da ich ihr die Geschäftsführung überlassen habe.«
Weit entfernt aber, ihm für diese Loyalität Dank zu wissen, entrüstete sich Maria über sein Einschreiten wie über einen Angriff
auf ihre Macht, wandte sich zu ihrem Sohn und sagte dürr: »Seid doch
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