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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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still!«
    Ludwig erblaßte und schwieg, weil er Condé nicht das Vergnügen eines Familienstreits bieten wollte. Und Condé, der die Zurechtweisung
     ausnutzte, ging kurzerhand, ohne sich zu entschuldigen. Sowie er fort war, sagte Ludwig mit äußerstem Ungestüm zu seiner Mutter:
     »Madame, Ihr habt mir größtes Unrecht getan, daß Ihr mich gehindert habt, zu sprechen!«
    Und, an seine Seite blickend, setzte er hinzu: »Hätte ich meinen Degen bei mir, ich hätte ihn ihm in den Leib gerannt!«
    Als ich meinem Vater am Abend diesen verblüffenden Satz wiederholte, nickte er versonnen und blieb eine Zeitlang stumm.
    »Für mein Gefühl«, sagte er schließlich, »zielte dieser große Zorn nicht einzig auf Condé. Er richtete sich ebensosehr gegen
     seine Mutter, die ihn gedemütigt hatte, indem sie ihn schweigen hieß, obwohl er für sie Partei genommen hatte. Aber wer hätte
     gedacht, daß in Ludwig soviel Heftigkeit steckte? Und ein solcher Groll? Ich wette, wenn er eines Tages regieren sollte, wird
     er nicht so leicht zur Vergebung geneigt sein wie Henri Quatre.«
    »Herr Vater«, fragte ich beklommen, »meint Ihr, daß er eines Tages nicht regieren könnte?«
    »Nein, nein«, sagte mein Vater, »das will ich damit nicht gesagt haben.«
    Doch hinter dieser Verneinung schien mir eine Sorge zu lauern, die sich nicht beim Namen nennen mochte.
    * * *
    Frau von Lichtenberg war so natürlich zugewandt, wo sie vertraute, so treu in der Freundschaft, so glühend in der Liebe und
     brachte anderen Menschen ohne Unterscheidung des Ranges, Alters oder Landes so wohlwollende Neigungen entgegen, daß sie einen
     so undankbaren Charakter wie den der Königinmutter einfach nicht fassen konnte. Wie oft verwunderten sie die |312| strengen Urteile, die ich in der warmen, dämmerigen Höhle ihres Betthimmels über Maria von Medici äußerte.
    »Liebste«, sagte ich eines Tages, »wie könnte eine Frau wie Sie Maria begreifen? Sie ist ein so steriles Geschöpf, daß man
     es nur durch lauter ›ohne‹ beschreiben kann.«
    »Wieso?«
    »Ohne Geist, ohne Charme, ohne Güte, ohne Taktgefühl, ohne Gewissen, ohne Liebe und selbstredend ohne den leisesten Anflug
     von Empfindsamkeit.«
    »Hat sie in Ihren Augen denn keine Tugend?«
    »Doch: Tugend.«
    »Ist das nichts?«
    »Es ist nichts, wenn man die Liebe so wenig liebt.«
    Meine Gräfin lachte, und es war wie Musik, dann fuhr sie nach kurzer Überlegung fort: »Sie liebt die Macht.«
    »Aber sie liebt sie nicht, meine Liebste, um Frankreich zu regieren – das Land ist ihr völlig fremd und kümmert sie nicht
     die Bohne –, sondern einzig und allein, um mit vollen Händen aus den öffentlichen Finanzen zu schöpfen und das Geld maßlos
     zu vergeuden, die Concinis mit Pfründen zu stopfen, sich für schwindelhafte Summen mit Diamanten zu behängen, prunkvolle Feste
     zu geben, die Adelspensionen zu verdoppeln und die Treue der Großen durch riesige Summen zu erkaufen. Was ist von den zweieinhalb
     Millionen Livres aus dem Schatz der Bastille geblieben, die angeblich zum Krieg gegen die Großen dienen sollten? Nichts! Und
     wie ich höre, hat Maria den Rechnungshof schon wieder ersucht, eine Million zweihunderttausend Livres aus demselben Schatz
     für die bevorstehende Reise des Königs und Madames an die spanische Grenze zu bewilligen, um die Prinzessinnen zu tauschen.«
    »Tauschen, sagen Sie?« fragte die Gräfin stirnrunzelnd. »Das Wort hört sich befremdlich an.«
    »Ich hätte ›verschachern‹ sagen sollen, meine Liebste, so langwierig, hart und bar jeder Menschlichkeit verlief das Gefeilsche
     zwischen zwei Nationen, die hinreichende Gründe haben, sich nicht zu lieben. Aber schließlich kam der Handel zustande, und
     also wird im künftigen Sommer Ludwig an der spanischen Grenze die kleine Anna von Österreich in Empfang nehmen und nach Paris
     führen, und Madame wird die Pyrenäen |313| überschreiten und mit dem Prinzen von Asturien den Weg nach Madrid nehmen.«
    »Arme kleine Madame!« sagte Frau von Lichtenberg seufzend. »Verheiratet! Dabei ist sie noch keine dreizehn! Ihrer Familie
     entrissen, entwurzelt, ihrer Sprache beraubt! Kann sie wenigstens Spanisch?«
    »Man bemüht sich seit zwei Jahren, es ihr beizubringen … Aber sie nimmt die Stunden wie Abführtränke … Wie Sie wissen, wird
     sie von ihrer Mutter nicht geliebt und wie eine Sache behandelt, und so ist sie ganz ihrem Bruder zugetan, und er ihr.«
    »Mein Gott«, sagte meine Gräfin, »was für ein

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