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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Eile zu drängen. Ohne Worte, nur durch eine gebieterische Geste
     bedeutete sie dem Kanzler Sillery, der ihr mit tiefer Reverenz zu Füßen fiel, ihr ein gerolltes Pergament auszuhändigen. Sie
     ergriff es hastig, schwang es wie einen Kommandostab über ihrem Kopf, um es den Anwesenden zu zeigen, und verkündete mit geradezu
     erschlagender Majestät: »Hier ist der Erlaß des Königlichen Rates.«
    Dann wandte sie sich zu Ludwig, reichte ihm das Pergament und sagte mit lautstarker Stimme: »Lest, Sire.«
    Ludwig nahm das Pergament nicht entgegen. Bleich, dem Umsinken nahe, lehnte er mit dem Rücken an der Mauer, so daß Souvré
     zu ihm eilte und seinen Arm stützte, während Doktor Héroard ihm, wie schon in der Karosse, das essiggetränkte Tuch unter die
     Nase hielt.
    »Was ist los?« fragte die Königin hochfahrend mit einem Blick auf ihren Sohn. »Wird er ohnmächtig?«
    »Ich fürchte es, Madame«, sagte Héroard.
    Eine Weile beobachtete sie den König mit barscher, ungnädiger Miene. So beschränkt war Maria nicht, daß sie nicht argwöhnte,
     daß die langjährige Unterwerfung ihres Sohnes mehr vorgetäuscht als echt war. Doch unfähig zu begreifen, daß allein ihre Tyrannei
     Ludwig dahin gebracht hatte, sich ständig zu verstellen, klagte sie ihn einer schwarzen Seele an. Er sei heimtückisch, pflegte
     sie zu verkünden.
    »Wird er wirklich ohnmächtig?« fragte sie, als wittere sie ›eine seiner Touren‹.
    |316| »Ich fürchte, ja, Madame«, sagte Héroard, der sich in dem Moment wohl dieselbe Frage stellte.
    »Monsieur de Souvré«, sagte die Königin, die ihren Zorn kaum zügeln konnte, »wird der König ohnmächtig?«
    »Er ist nicht weit davon, Madame«, sagte Souvré.
    »Na schön, es geht auch ohne ihn!« sagte die Königin mit verhaltener Wut.
    Und indem sie dem Kanzler die Pergamentrolle zurückgab, sagte sie barsch: »Lest, Herr Kanzler.«
    Monsieur de Sillery las. Es war der Erlaß des Königlichen Rates, kraft dessen man die wiederholten Weigerungen der Rechnungskammer
     überging, das Gesuch ›des Königs‹ anzunehmen, nach welchem besagte Kammer die Herausgabe von einer Million zweihunderttausend
     Livres aus dem Schatz der Bastille genehmigen sollte, um die spanischen Hochzeiten zu bezahlen.
    Damit hätte Monsieur de Sillery enden sollen. Doch konnte er sich nicht enthalten, der Königin seinen besonderen Hof zu machen,
     indem er fast bissig hinzusetzte, er wüßte doch gerne, wie der Präsident der Rechnungskammer die Tatsache rechtfertige, daß
     besagte Kammer sich fünfmal geweigert habe, das königliche Gesuch zu registrieren.
    Bei dem Wort ›Gesuch des Königs‹ hoffe ich, nicht der einzige in dieser edlen Runde gewesen zu sein, der dachte, daß es besser
     ›Gesuch der Königin‹ geheißen hätte, denn Maria hatte den Sohn zur Beratung nicht hinzugezogen.
    Der Präsident der Rechnungskammer, den Monsieur de Sillery soeben zur Rede gestellt hatte, schickte sich also zur Rechtfertigung
     an. Es war ein alter, winzig kleiner Mann, hohlwangig, die schwarzen Augen tief in den Höhlen. Er sprach ohne die kleinste
     Geste, aber gleich bei seinen ersten Worten spürte ich darin eine Festigkeit, wie wenn er sich auf einen unerschütterlichen
     Glauben an den heiligen Wert der Gesetze stützte.
    »Der selige König in seiner großen Weitsicht«, sprach er, »hat seit 1602 Jahr für Jahr diesen Schatz in der Bastille angesammelt.
     Er verwandte darauf große Sorgfalt, Sparsamkeit und Fleiß. Der Wert dieses Schatzes war bedeutend nicht nur an sich, sondern
     auch, weil der selige König ihn der ganzen Welt bekanntgegeben hat, um das Ausland von Unternehmungen |317| gegen ein Königreich abzuschrecken, das so große Mittel besaß. Ich erinnere mich, daß der selige König öffentlich zum Herzog
     von Mantua sagte, indem er auf das Arsenal wies: ›Dort habe ich alles, um fünfzigtausend Mann zu bewaffnen‹, und, auf die
     Bastille weisend, hinzufügte: ›Und dort, sie wenigstens sechs Jahre zu bezahlen.‹«
    Während dieser Rede beobachtete ich unausgesetzt Ludwigs scheinbar leblose Physiognomie und bemerkte, daß seine Augen plötzlich
     aufleuchteten, als der Präsident zum Lob seines Vaters sprach. Doch senkte er sie so schnell und verfiel wieder in seine Reglosigkeit,
     daß ich zweifelte, diesen Wechsel seines Ausdrucks wahrgenommen zu haben.
    »Kürzer!« sagte die Königin, die sehr wohl merkte, daß soviel Lobrede auf die Sparsamkeit des seligen Königs einige Spitzen
    

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