Königskind
Nully durch ein hübsches Dorf kamen und er das Schaufenster eines
Bäckers erblickte. Er befahl, anzuhalten, und stieg aus, sowie der Tritt herabgelassen war, lief und betrachtete die guten |405| Sachen, die der Händler in seinem Fenster ausliegen hatte. Hierauf kam der Bäcker aus seinem Lädchen geschossen, und da er
den König erkannte, zog er seine Mütze und bat ihn kniefällig, zwei kleine goldene Kuchenbrote anzunehmen, die er gerade aus
dem Ofen gezogen hatte und die noch ganz heiß waren. Der Bäcker war vor Glück außer sich, Ludwig so nahe zu sehen und zu ihm
zu sprechen, während seine ganze Familie, mit dem Wickelkind im Arm der Mutter sogar, in die Ladenstube eindrang und offenen
Mundes ihren König anschaute. Es war ausgeschlossen, dem guten Mann auch nur eine Pistole zu geben: er wollte seine Brötchen
schenken, was Ludwig schließlich mit herzlichem Dank annahm, und wieder in der Karosse, verschlang er beide mit einem Appetit,
der allen Beiwohnenden Freude machte. Das Dorf hieß Nully 1 , und dieser Name ist selbst Parisern wohlbekannt, weil nach ihm die Brücke benannt ist, die hier die Seine überquert.
Man wird sich erinnern, daß Ludwig – unter vielem anderen – seiner Mutter verargte, wie kurz sie ihn in Gelddingen hielt.
Wenn er sie, und sei es um eine kleine Summe bat, gab sie zur Antwort, es sei kein Geld in der Kasse, gleichzeitig aber entschädigte
sie Concini für den Verlust, der ihm nach Condés Gefangennahme durch die Plünderung und Verwüstung seines Hauses entstanden
war, mit vierhundertfünfzigtausend Livres … Diesmal hatte Ludwig seine Stummheit verlassen, und er beklagte sich mit lauter,
vernehmlicher Stimme.
Erstaunlicherweise aber willigte die Königin ein, als Ludwig während seiner Rekonvaleszenz zu Saint-Germain-en-Laye den Plan
faßte, dem Hof ein eigenes großes Ballett darzubieten, sie sicherte ihm sogar zu, für die Kosten aufzukommen und lieh ihm
für das Textbuch ihren Dichter Étienne Durand. Mag sein, Ludwigs Klage über ihre Knauserei hatte sie beschämt, denn der Hof
hatte darüber viel geredet. Mag auch sein, die Concini hatte ihr zugeraunt, solange Ludwig mit dieser Veranstaltung beschäftigt
sei, denke er nicht ans Regieren des Reiches. Außerdem war Maria als echte Mediceerin verrückt auf Ballette, Feste und Prunkentfaltung,
und diesem Hang zuliebe war sie bereit, Gold in alle vier Winde zu streuen, selbst zugunsten eines Sohnes, den sie doch so
wenig liebte.
|406| Der Dichter Durand, in dieser Art Unterhaltung sehr erfahren, schlug dem König eine ganze Reihe Stoffe vor, und Ludwig wählte
ohne vieles Zögern
Rinaldos Erlösung,
eine Episode aus dem berühmten Epos des Tasso,
Das befreite Jerusalem.
Diese Geschichte von Rinaldo ist, frei nach Homer, eine christliche Version der Abenteuer des Odysseus und seiner Gefährten
bei der Zauberin Circe. Und so stellt Tasso die Sache dar: Ohne Rinaldo, den tapfersten Ritter des ersten Kreuzzuges, kann
Jerusalem den Ungläubigen nicht entrissen werden. Doch unterwegs fällt Rinaldo in die Fänge der schönen Armida, die ihn durch
ihre Künste in einem Zaubergarten gefangenhält, wo er sich mit ihr der Trägheit und Wollust ergibt. Doch gelingt es Rinaldo,
seiner Erniedrigung innezuwerden, wie, wird man noch sehen, und nachdem er sich aus dem Bann der Zauberin befreit hat, übernimmt
er wieder die Führung des Kreuzzugs.
Als ich hörte, daß Ludwig dieses Sujet gewählt hatte, dachte ich zuerst, er habe es in Erinnerung an seinen Vater getan, der
im Jahr 1610 ein Ballett über dasselbe Thema zur Vermählung seines illegitimen Sohnes, des Herzogs von Vendôme, mit Mademoiselle
de Mercoeur veranstaltet hatte. Ludwig war damals achteinhalb Jahre alt, und wenn ich mich recht entsinne, wohnte er dem Ballett
voll Entzücken bei, denn Tanz und Musik liebte er sehr. Bald jedoch, als die Proben zu dem Ballett von Rinaldo begannen, erkannte
ich daran, wie der Fünfzehnjährige die Geschichte auffaßte, daß er politische Absichten damit verband, ebenso übrigens, wie
sie dem
Ballet de Madame
zugrunde lagen, das Maria von Medici kurz vor Elisabeths Abreise nach Spanien gab und in dem die blendenden Erfolge ihrer
Regentschaft gefeiert wurden, die aus ihrer Sicht in der spanischen Doppelhochzeit gipfelten.
Am zwanzigsten November 1616 begann Ludwig in Saint-Germain-en-Laye mit den Proben, am neunundzwanzigsten Januar 1617 fand
die Aufführung zu Paris im
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