Königskind
Bourbonensaal statt. Als Tänzer wählte Ludwig jene aus seiner Umgebung, die er liebte: den Chevalier
de Vendôme, Montpouillan, La Roche-Guyon, Liancourt, Courtenvaux, d’Humières und Brantes (ein Bruder von Luynes). Déagéant
war überrascht, daß zu den Tänzern auch Monsieur de Blainville gehörte, der Erzspion – und vor allem, daß ich nicht dabei
war. Was mich angeht, war |407| die Sache einfach die, daß ich zwar auf einem Ball ein guter Tänzer war, aber nicht im Ballett, dafür fehlte es mir an Erfahrung,
und ich mußte die Ehre, die Ludwig mir erwies, ausschlagen, doch wollte er mich wenigstens als Ratgeber haben, so daß ich
über zwei Monate die Proben verfolgen konnte. Was Monsieur de Blainville betrifft, mag es sein, daß die Königinmutter ein
Ohr in dieser Unternehmung haben wollte und ihn dem Sohn aufgenötigt hatte. Es kann aber auch sein, daß Ludwig ihn von sich
aus wählte, damit Blainville nicht spürte, daß sein Verrat entlarvt worden war.
Ludwig, der ein vortrefflicher Ballettänzer war, wollte die Rolle des Rinaldo nicht selbst spielen. Vielleicht ging es ihm
gegen die Würde, sich mit einer Figur zu identifizieren, die dem Bann einer Zauberin verfiel und damit Schwäche bewies. Aber
er spielte in der ersten Szene den ›Geist des Feuers‹ und in der letzten den Heerführer Gottfried – eine Rolle, die seinen
königlichen Befugnissen entsprach. Den Rinaldo ließ er Monsieur de Luynes geben, denjenigen also, der ihm am nächsten stand,
als wollte er damit den persönlichen Anteil betonen, den er an der Erlösung des verzauberten Ritters nahm. Luynes stand in
der Rolle des Rinaldo sozusagen für ihn selbst.
Zum erstenmal, seit Frau von Lichtenberg so ganz zurückgezogen in Paris lebte, bedauerte sie ihren Entschluß, den Hof nie
zu betreten. Denn zu gerne hätte sie, wie mir schien, dem
Ballett von Rinaldos Erlösung
beigewohnt, so viele Fragen stellte sie mir hierüber bei unseren ›Plaudereien hinter den Gardinen‹.
»Sie schildern mir, Pierre«, sagte sie einmal, »daß in der ersten Szene der König und zwölf seiner Herren von einem Berg herab
als Geister auftreten, als Geist des Feuers, wie der König, oder des Wassers, der Luft, der Winde, des Spiels, der Jagd, des
Krieges und so fort. Sind diese Geister denn Höllengeister?«
»Keineswegs, meine Liebste, es sind Geister, die entweder die Naturgewalten oder aber die gewöhnlichen Beschäftigungen der
Edelleute verkörpern. Und sie tanzen, das heißt, sie sind tätig, während am Fuß des Berges Rinaldo, der Gefangene der zaubermächtigen
Armida, in tiefem Schlafe ruht.«
»Es ist doch keine Sünde, zu schlafen. Was machen denn wir, mein Pierre?«
|408| »Das ist aber nicht dasselbe!« erwiderte ich lachend. »Rinaldos Schlummer bedeutet, daß er sich dem Müßiggang ergeben hat,
obwohl er an der Spitze der Kreuzzüge stehen sollte, um Jerusalem zu befreien. In der folgenden Szene wird das klar. Zuerst
verschwindet der Berg, und Armidas Zaubergarten wird sichtbar.«
»Wie verschwindet er?«
»Mittels einer Drehbühne. Der nun erscheinende Zaubergarten ist sehr schön, drei Fontänen springen und fallen in blumengesäumte
Becken, und zwei altertümlich gekleidete Soldaten treten auf, ein jeder mit Stab und Schild. Der Schild ist kristallen, und
der Stab soll Armidas Zauberstab bekämpfen. Aber plötzlich taucht aus einem der Becken eine wunderschöne Nymphe hervor.«
»Ist es nicht eher eine Najade, wenn sie dem Wasser entsteigt? Und woher wissen Sie, daß sie wunderschön ist, Pierre? Haben
Sie sie so nahe gesehen?«
»Bitte, Madame, ziehen Sie Ihre kleinen Krallen ein. Diese Nymphe wird von einem Mann gespielt. Armida übrigens auch.«
»Ist das wahr? Dürfen in Ihren Balletten keine Damen auftreten?«
»Doch! In rein weiblichen Balletten, wie im
Ballett der Nymphen der Diana,
das unserem Henri zum Verhängnis wurde. Die Kirche sähe es ungnädig, würde man die Geschlechter mischen.«
»Ist die Kirche denn glücklicher, wenn Männer Frauenrollen spielen? Das ist aber naiv, scheint mir. Und was tut nun diese
durchnäßte Nymphe?«
»Sie versucht, die beiden Soldaten zu verführen. Aber es gelingt ihr nicht. Sie sind dagegen gefeit, vielleicht durch ihren
Stab.«
»Wie erstaunlich!« sagte meine Gräfin lachend.
»Also Abgang der Nymphe«, fuhr ich fort, »und Ungeheuer betreten die Szene, halb Mensch, halb Tier. Zum Beispiel ist darunter
eine junge Kammerzofe,
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