Königskind
sich vor dem König so tief verneigt hatte, wie es ihm geziemte, legte
er letzte Hand an dessen Gewand und an das Paradebett. Hierauf richtete er sich zu seiner vollen Größe empor, kreuzte die
Hände über seinem Schmerbauch und wartete mit zugleich wichtiger und demütiger Miene.
Das Warten dauerte so lange, daß Ludwig, der sich erinnerte, daß er der König war und das Recht hatte, Fragen zu stellen,
sich erkundigte: »Was kommt jetzt, Herr Großkämmerer?«
»Sire, wir warten, bis die Pairs des Reiches Euch holen und Euch in die Kathedrale führen.«
»Und was mache ich solange?« fragte Ludwig.
»Ihr schlaft, Sire.«
»Herr Großkämmerer«, sagte Ludwig, »wie soll ich schlafen, wenn ich nicht müde bin?«
»Sire, Ihr sollt nur so tun.«
Diese Antwort belustigte Ludwig. Nie hätte er gedacht, daß seine Salbung mit einem Spiel beginnen würde. Und vergnügt schickte
er sich darein und schloß sogleich die Augen.
»Sire«, sagte der Großkämmerer ein wenig betreten, denn die Freude des Jungen an dem Spiel war ihm nicht entgangen, »es ist
nicht nötig, daß Ihr jetzt schon schlaft, sondern erst, wenn die Bischöfe in dieses Kabinett treten, weil sie Euch wecken,
Euch aufheben und auf die Füße stellen müssen.«
»Aber, Herr Großkämmerer«, meinte Ludwig, »ich kann doch allein aufstehen.«
»Nein, Sire, bei diesem großen Anlaß will es der Brauch anders. Trotzdem dürft Ihr Euch, wenn die Bischöfe Euch aufheben,
nicht zu schwer machen, weil die Bischöfe nicht mehr soviel Kraft haben, sie sind alt und leidend.«
»Ich vergesse es nicht«, sagte Ludwig.
|65| Nach einer Weile zog der Herzog von Aiguillon mit pompöser Gebärde aus dem Ärmelaufschlag seines prächtigen Wamses eine Uhr,
warf einen langen, würdevollen Blick darauf und sagte, als spräche er zu sich selbst: »Es ist Zeit.«
Und in gewichtigem Schritt ging er zur Tür des Kabinetts und verschloß sie.
»Herr Großkämmerer«, sagte Ludwig, »warum verriegelt Ihr die Tür?«
»Damit die Bischöfe von mir Einlaß fordern können.«
»Und den gewährt Ihr ihnen?«
»Ja, aber nicht gleich«, sagte der Herzog mit stolzgeschwellter Brust. »Erst wenn sie ihn zum drittenmal fordern.«
»Und warum beim drittenmal?«
»So ist es seit undenklichen Zeiten der Brauch.«
Der Großkämmerer gab diesen ›undenklichen Zeiten‹ einen Klang, als rolle er einen riesigen Felsblock vor eine Höhle, um sie
ein für allemal zu verschließen. Weil aber Ludwigs blitzende Augen ihn doch noch beunruhigten, schwankte er, ob er ihn nicht
noch einmal ermahnen sollte. Schließlich siegte sein Pflichtgefühl, er machte Ludwig eine tiefe Reverenz und sagte: »Sire,
geruht Euch zu erinnern, daß Ihr, wenn die Bischöfe hereintreten, schlafen sollt und keine Fragen stellen, weder mir noch
ihnen, noch sonst jemandem.«
»Ich weiß«, sagte Ludwig.
In dem Moment hörte man in dem benachbarten Raum Schritte und Stimmen. Hierauf wurde zart an die Tür geklopft, und Ludwig
schloß sofort die Augen.
»Was wollt Ihr?« fragte mit herausfordernder, kriegerischer Stimme der Großkämmerer, als stünde er bereit, den König vor einem
letzten Angriff mit dem eigenen Leibe zu schützen.
Ein feine, meckernde Stimme, die des Bischofs von Laon, antwortete ihm durch die Tür: »Ludwig den Dreizehnten, Sohn des großen
Henri.«
Als Ludwig seinen Vater mit so erhabenen Worten nennen hörte, schlug er die Augen auf. Rasch beugte der Großkämmerer seinen
mächtigen Leib über das große Paradebett und flüsterte eindringlich: »Um Himmels willen, Sire, macht die Augen zu!«
Dann, wieder aufgerichtet und zur Tür gewandt, rief der Großkämmerer mit einer Stimme, deren Umfang und Stärke |66| der des Bischofs von Laon völlig unangemessen war: »Der König schläft.«
Dann wartete er. Und er wartete nicht lange, denn es wurde aufs neue, ebenso schwach wie das erstemal, an die Tür geklopft.
»Was wollt Ihr?« rief der Großkämmerer im selben Ton.
»Ludwig den Dreizehnten, Sohn des großen Henri«, sagte der Bischof mit derselben zittrigen Stimme, die ihn so gar nicht furchtbar
machte.
»Der König schläft!« rief der Großkämmerer, ohne seine Stimmgewalt zu mildern.
Nach dem dritten Klopfen – denn dreimal mußte es sein, wegen der magischen Zahl – änderte sich die Antwort des Bischofs auf
das lautstarke »Was wollt Ihr?« des Großkämmerers: Sie sprach nicht mehr vom großen Henri, sondern vom Himmel; die irdische
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