Königskind
sich so ›zerzaust, bleich, mit gelben Augen,
runzligem Kinn, kurz, nichts als Falten, zum Fürchten häßlich, vollkommen unansehnlich … Und infolge (ich zitiere noch immer)
›dieses Verfalls‹ will sie weder angekleidet werden noch jemand sehen, Euch nicht, ihre Söhne nicht, ja nicht einmal die Regentin.
Sie hat ihre Kammer verriegelt, ein Körnchen Opium genommen und hofft, den ganzen Tag zu schlafen.«
Ich hatte mich so sehr gefreut, Madame de Guise wiederzusehen, daß mir vor Enttäuschung fast die Tränen kamen, die ich aber
desto heftiger unterdrückte, je mehr die Guises über die Bravour der Prinzessin Conti lachten, mit der sie Tonfall und Stimme
und die übertriebenen Gebärden ihrer Mutter nachahmte, wenn ihr Spiegel sie ärgerte. Ach, wie gut kannte auch ich diese Grillen
meiner lieben Patin, die von früh bis spät eine unerhörte Energie entfaltete, um ihr Alter zu verleugnen, und wenn sie seiner
plötzlich durch eine Erschöpfung inne wurde, sank sie in sich zusammen, doch nur, um tags darauf wieder zu springen wie ein
Ball im Jeu de Paume.
Nachdem ich noch ein Weilchen geblieben war, damit es nicht aussähe, als liefe ich davon, verabschiedete ich mich von den
Herrschaften. Zu meiner großen Überraschung und vielleicht auch zu der der Guises erbot sich Bassompierre, mich bis zur Treppe
zu begleiten: eine sehr hohe Aufmerksamkeit angesichts meines Alters und Ranges.
Als die Saaltür sich hinter uns schloß, sagte er leise, indem er meinen Arm nahm: »Nur auf ein Wort, schöner Neffe, denn wie
Ihr verstehen werdet, will ich schnell zurück in den Saal. Ich stehe in ständiger Verbindung mit Frau von Lichtenberg wie
auch mit der Königin. Eure Angelegenheit scheint in Gang zu kommen. Sucht mich nach der Salbung auf, dann kann ich Euch mehr
sagen.«
Ich fühlte, wie ich blaß wurde. Ich fiel ihm um den Hals und umarmte ihn wortlos, mein Herz schlug wie toll. Bassompierre
war von soviel Erregung auch ergriffen.
|61| »Ist es nicht reine Narretei«, sagte er mit einem melancholischen Blick und sichtlicher Besinnung auf sich selbst, »eine Frau
in dem Maße zu lieben, die einem, wenigstens im Augenblick, unerreichbar ist? Wieviel erhoffte Freuden! Wieviel gegenwärtiger
Kummer! Und wie teuer wird Glück bezahlt! Gut, mein Freund, Ihr wißt also, wir sprechen uns nach der Salbung.«
* * *
Der Chevalier de La Surie schlief wenig in der Nacht vor der Salbung. Er war trunken vor Freude, mit uns zu dieser denkwürdigen
Feierlichkeit eingeladen zu sein: eine Einladung, die ihn ermessen ließ, welchen Weg er zurückgelegt hatte seit der Zeit,
als er, ein kleiner verwaister Bauernjunge, der nach der Ermordung seiner Eltern am Verhungern und auf kleine Diebereien angewiesen
war, nur durch die inständigen, nicht nachlassenden Bitten meines Vaters vor dem Strang gerettet worden war. Gemeinsam mit
ihm erzogen, hatte er sich in seinem Schatten selbst herangebildet, da die Lebendigkeit seines Verstandes mit einer ans Wunderbare
grenzenden Beweglichkeit seiner Gliedmaßen einherging, und hatte sich von dieser Selbstunterrichtung her eine Neigung bewahrt,
mit französischen Wörtern zu spielen (so glücklich hatte es ihn wahrscheinlich gemacht, sie zu erlernen, denn ursprünglich
sprach er nur das heimische Périgordinisch), und ebenso einen unbezwinglichen Hang, Fragen zu stellen. Seine
giochi di parole
1 erbauten meinen Vater bald, bald verdrossen sie ihn. Aber seine Fragen beantwortete er stets mit Engelsgeduld.
»Monsieur«, sagte er zu meinem Vater, als er an diesem Morgen in unser Zimmer trat, »erlaubt mir eine Frage. Wozu die Salbung,
da Ludwig schon König ist?«
»Die Salbung ist ein Sakrament«, sagte mein Vater.
»Hab ich mir’s doch gedacht! Aber ich kenne nur zwei Sakramente, die auf Christus zurückgehen: Taufe und Abendmahl.«
»Das behaupten die bösen Hugenotten«, sagte mein Vater lächelnd.
» Wir Katholiken
haben aber noch ein paar Sakramente hinzuerfunden, und nun gibt es ihrer sieben.«
|62| »Sieben?«
»Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, letzte Ölung, Priesterweihe und Eheschließung. Darf ich darauf hinweisen, Herr Chevalier,
daß Ihr diese Liste eigentlich auswendig können müßtet? Schließlich habt Ihr sie wie ich gelernt, als wir zum Katholizismus
übertraten.«
»Stimmt«, sagte La Surie mit einem gezwungenen Lächeln. »Das hatte ich vergessen. Ich werde mich dessen in der Beichte verklagen,
nächstes Jahr zu
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