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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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wurde der Prozeß gemacht, und diesen Prozeß
     – faßt Mut, Joinville! – diesen Prozeß habe ich gewonnen. Und wie? Ich habe mich einfach der Königin zu Füßen geworfen. Sie
     hat den Richtern ein Sendschreiben geschickt, das meine Schuldlosigkeit bestätigte, und sie haben es geglaubt. Warum sollte
     die Regentin dasselbe nicht auch für Euch tun, Joinville, sofern Euer ältester Bruder, bei seinem Gewicht in den Belangen
     des Reiches, nicht für Euch eintreten wollte?«
    Dieses ›Gewicht in den Belangen des Reiches‹ richtete das Rad unseres Pfaus wieder auf. Er gewann seine gewohnte Farbe zurück,
     und da er sogar in seiner Bosheit nicht hartnäckig war, setzte er seinen Sarkasmen ein Ende.
    So herrschte denn wenn auch nicht völlige Eintracht, so doch wieder Frieden im Haus Guise. Und es wurde auch gleich ein heiterer
     Frieden, als ein Lakai die Saaltür aufsperrte: die Prinzessin Conti trat ein.
    Genauer gesagt, sie trat nicht ein, sie hatte ihren Auftritt. Und dieser Auftritt wurde von den Anwesenden um so mehr bemerkt,
     als sie, da die Tür für ihren Reifrock nicht breit genug war, diesen mit beiden Händen bis zum Busen raffte. Hierbei, war
     es Versehen, war es übermütige Laune, ergriff sie mit dem Reifrock auch den darunterliegenden Cotillon. Dies hatte zur Wirkung,
     daß die Unterkleider ihrer Unterkleider entblößt wurden, ein Anblick, bei dem ihre drei Brüder, Bassompierre und ich wie erstarrt
     standen.
    Die Tür war durchquert, der Reifrock fiel wie ein Theatervorhang, und die Prinzessin neigte den Kopf auf ihrem Schwanenhals
     und senkte verwirrt die Augen, in denen tausend Dämonen tanzten. Sie war zwiefache Bourbonin – durch ihre Mutter, die Herzogin
     von Guise, und durch ihren Gemahl, Prinz Conti. Und sie meinte, nicht ohne Grund, es gäbe bei |59| Hofe nichts Adligeres, Hochstehenderes und Schöneres als sie. Ein Anspruch, den sie mit allem notwendigen Geist gegen jedermann
     behauptete und im besonderen gegen ihren ältesten Bruder, den Herzog von Guise, der es niemals gewagt hätte, sie herunterzuputzen
     wie seine Brüder, denn die Entgegnungen der Dame kamen schnell und vernichtend wie ein Blitz.
    Trotz alledem hatte der funkelnde Küraß der Prinzessin Conti eine Schwachstelle: sie liebte Bassompierre. Und das Grausame
     daran war – der ganze Hof wußte es –, daß sie, um Bassompierre heiraten zu können, auf den Tod des Prinzen Conti wartete,
     der, wenn auch alt, blöde, taub und schwer leidend, dennoch begriff, mit welcher Ungeduld sein Hinscheiden erwartet wurde.
    Später erriet ich, daß sie, da sie mit Madame de Guise im erzbischöflichen Palast logierte, nur gekommen war, um Bassompierre
     zu sehen (dem sie gleichwohl keinen einzigen Blick schenkte, während er sie mit seinen Augen verschlang), denn kaum eingetreten,
     rechtfertigte sie ihren Besuch mit dem Vorwand, sie habe mir etwas von ihrer Mutter auszurichten.
    »Ah, mein kleiner Cousin!« rief sie und tat, als interessiere sie sich einzig für mich. »Seht in mir den Herold, durch den
     meine Frau Mutter Euch ihren Willen verkündet. Sie hat mich beauftragt, Euch von ihr so viele
poutounes
zu geben, wie ich kann: was mich allerdings in Verwirrung setzt, denn ich weiß gar nicht, was ein
poutoune
ist.«
    »Das ist Okzitanisch, Madame, und heißt Kuß«, sagte ich.
    »Aha! Was für ein hübsches Wort«, sagte sie, indem sie die Vokale dehnte. »Wer von Euch, meine Herren«, sagte sie und ließ
     ihren Blick über die Anwesenden, außer Bassompierre, schweifen, »wer von Euch möchte mir einen
poutoune
geben?«
    »Ja, ich!« rief der Erzbischof beschwingt.
    »Verflixter Diakon«, sagte der Herzog, »hat nichts wie Schmusen im Sinn, und sei es inzestuös.«
    »Laßt nur, Louis«, sagte die Prinzessin zum Erzbischof, »meine Frage war rein rhetorisch. Außerdem habe ich meine Pflicht
     als Herold zu erfüllen. Nun, kleiner Cousin, kommt näher, daß ich Euch küsse.«
    Ich gehorchte, wiewohl ich mir sagte, daß ich hiermit dem kokettesten Wesen der Schöpfung zu Diensten war. Die Prinzessin
     hob mit Anmut die Arme, legte mir ihre feinen Hände |60| auf die Schultern, und indem sie mich zu sich heranzog, hauchte sie nacheinander auf meine Wangen, und das unter neckischen
     Mienen, die nicht mir galten.
    »So, kleiner Cousin! Ihr habt gelacht, nun werdet Ihr weinen. Denn Eure liebe Patin kann Euch heute morgen und auch den ganzen
     Tag nicht empfangen, denn als sie beim Aufwachen in den Spiegel sah, fand sie

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