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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Abstammung von Henri Quatre wurde nun fallengelassen zugunsten der göttlichen Sendung des Sohnes.
    »Ludwig den Dreizehnten«, sagte der Bischof, »den Gott uns zum König gegeben hat.«
    Und was die Berufung auf König Henri nicht vermocht hatte, bewirkte die auf den Herrn, denn die Tür tat sich auf. Der Bischof
     von Laon kam hereingetrippelt, hinter ihm der Bischof von Beauvais. Und der Großkämmerer verwandelte sich aus dem stolzen
     fränkischen Recken, der er bislang gewesen, sogleich in ein gehorsames Kirchenlamm und überließ den beiden Prälaten gesenkten
     Hauptes den Platz.
    Ludwig also mußte schlafen, ja, doch einen sehr wachen Schlaf, denn sowie der Bischof von Laon mit seiner zarten Stimme zu
     ihm gesagt hatte: »Mein Sohn, erwache!« (wobei er den König zum ersten und letzten Mal in seinem Leben duzte), schlug er die
     Augen auf und ließ sich aufheben, ohne sich zu schwer zu machen noch auch zu leicht, denn er wollte die ihm vorgeschriebene
     Rolle wohl auch wahrhaftig geben. Wenige Minuten darauf schritt er über den Platz der Kathedrale, die weltlichen und die geistlichen
     Pairs des Reiches im Gefolge, und zog in die Kirche ein. Sehr viel später sagte er mir einmal, als er den Fuß auf die durch
     so viele Jahrhunderte ausgetretenen Stufen setzte, habe ihm sein Herz zum Zerspringen geklopft.
    * * *
    |67| Dank der zwiefachen Protektion der Herzogin von Guise und des Erzbischofs von Reims bekamen wir, mein Vater, La Surie und
     ich, gute Plätze auf der Galerie des Chors, von denen wir die ganze Zeremonie überschauen konnten – falls man Stehplätze als
     gut bezeichnen will, wo wir dicht an dicht in einer drangvollen Menge von Geladenen standen und schwitzten, obwohl uns die
     Kirche nach der drückenden Hitze draußen zuerst kalt vorkam.
    Die einzige Person, die ich auf dem Chor an der durchbrochenen Balustrade in einem Lehnstuhl sitzen sah, war eine sehr vornehm
     gekleidete Dame. Ich konnte sie zwar nur von hinten betrachten, doch erschien sie nach ihrer Nackenansicht jung und begehrenswert.
     Ihre Gegenwart beschäftigte mich sehr, denn die großen Damen des Hofes – die Prinzessinnen und Herzoginnen – saßen im Chor,
     und wenn die Unbekannte sich offenbar keiner so hohen Verwandtschaft rühmen konnte, um unter ihnen zu sitzen, weshalb hatte
     man ihr dann diesen diskreten Platz auf der Galerie gewährt und ihr obendrein einen kräftigen Geistlichen zur Seite gestellt,
     der nur dazusein schien, um ihr Belästigungen vom Leibe zu halten? Wie ich beobachtete, stand ihr Lehnstuhl hinter einer Säule,
     was aber, wenn sie sich vorbeugte, ihr volle Sicht auf den Chor erlaubte und anderseits, wenn sie wollte, die Sicht vom Chor
     auf ihre Person verhinderte.
    Es war ja der gesamte Hof von Paris nach Reims gekommen, die Kathedrale war brechend voll, und obwohl die heilige Stätte den
     Anwesenden mehr Andacht hätte einflößen müssen, brauste sie von tausenderlei Unterhaltungen, die vermutlich nichts Frommes
     hatten. Trotzdem trat große Stille ein, als hinter dem Bischof von Laon und dem Bischof von Beauvais und mit dem Gefolge der
     geistlichen und weltlichen Pairs des Reiches der kleine König hereingeschritten kam in seinem langen Silbergewand, das ihm
     bis auf die Füße fiel, was den Eindruck erwecken sollte, als sei er soeben zur Welt gekommen, ohne die Gewänder und Insignien
     der Macht, die ihm der Schöpfer nun erst durch seine obligate Mittlerin, die Kirche, verleihen werde.
    Wie Ludwig da sehr gerade und erhobenen Hauptes durch den Mittelgang des großen Schiffes schritt, wirkte er vor den Würdenträgern
     seines Reiches wahrhaftig sehr klein und anfällig und sehr ungewiß sein Geschick inmitten all dieser |68| großen Raubvögel und angesichts einer leichtfertigen und hartherzigen Mutter, die ihn für ihren Rivalen hielt. Er schritt,
     wie es ihn Monsieur de Souvré und der Großkämmerer gelehrt hatten, sehr gemessen, die Augen fest auf den Chor gerichtet, und
     spielte seine Rolle bei dieser Salbung mit seiner ganzen üblichen Gewissenhaftigkeit.
    Für uns lag in dieser Salbung eine bittere Ironie. Himmel und Erde verbündeten sich, Ludwig allen Anschein der Macht zu verleihen,
     und er war nicht einmal Herr in den paar Quadratmetern seines Zimmers. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen war er von Hutschwenken,
     Verneigungen oder Kniefällen umschwirrt, alles wurde ihm mit höchstem Respekt gegeben, sogar die Rute.
    Nicht daß ihm Liebe, außer der seiner Mutter,

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