Königskind
gänzlich gefehlt hätte. Wenn ich meine Blicke in der Kathedrale umherschweifen
ließ, bemerkte ich so manche Damen, die ihn, Tränen in den Augen, in seiner rührenden Kindlichkeit einherschreiten sahen.
Auch waren da etliche Edelmänner, deren Gesichter sich röteten, weil sie, den Sohn sehend, des großen Vaters gedachten, dem
sie in Liebe angehangen hatten. Diese waren aus Herzensgrund bestrebt, Ludwig zu dienen, und würden sich, ebensowenig wie
mein Vater, La Surie und ich, niemals bereitfinden, wie eine ganze Anzahl Höflinge es bereits taten, sich an die Fersen dieses
niederen Schuftes Concini zu heften, ihm die Hände zu lecken und sich ihm zu Füßen zu werfen. Wir hatten nur einen Herrn,
und da schritt er durch das Kirchenschiff, so klein und schwach er auch war.
Von allen Ritualen, die bei dieser Festlichkeit an Ludwig vollzogen wurden, war das bedeutsamste gewiß die Ölung, weil sie
ihm die Weihe gab und ihm die Gnade erteilte. Hierzu wurden zwei Öle gemischt: zum einen das heilige Chrisam, das Salböl,
zum anderen Öl aus dem heiligen Salbgefäß. Das Salböl, das auch bei der Taufe verwendet wird, ist wiederum eine Mischung aus
Oliven- und Balsamöl. Das Salbgefäß enthält ebenfalls ein Öl, aber eines sehr viel ehrwürdigeren Ursprungs, denn ein Engel
brachte es vom Himmel herab, als Chlodwig zu Saint Rémy getauft ward. Und weil es seit dieser Zeit zur Salbung aller Könige
von Frankreich dient, wird jedermann verstehen, daß man damit sparsam umging und es nicht mit der Kelle schöpfte. Tatsächlich
tauchte der Kardinal de Joyeuse eine goldene Nadel |69| in das Salbgefäß und entnahm ihm derweise eine winzige Menge, die er in der Hand mit dem heiligen Salböl verrieb.
Nun wurde Ludwig entkleidet. Man zog ihm die lange Robe aus, dann löste man die Bänder, die sein Kamisol und sein Hemd auf
den Schultern hielten, so daß er nackt war bis zum Gürtel. In diesem Zustand mußte er sich bäuchlings auf den Boden legen
– eine demütige, aber vor allem sehr unbehagliche Haltung, denn die Fliesen der Kathedrale waren nicht gerade warm. Schlimmer
aber war, daß diese Niederwerfung ihre Zeit dauerte, denn der Prälat sprach eine endlose Reihe von Gebeten, für deren Abkürzung
ich viel gegeben hätte, deren übermäßige Länge aber wahrscheinlich die Überlegenheit der geistigen Macht über die zeitliche
vergegenwärtigen sollte. Mein Vater neben mir knirschte mit den Zähnen, weil er darin eine ultramontane Haltung argwöhnte.
Doch weiß ich in diesem Fall nicht zu sagen, ob er ganz recht hatte, denn die Gebete waren uralt, und die Tradition hatte
mit den Jahrhunderten manches hinzugefügt.
Endlich hob der Kardinal Ludwig auf und salbte seinen Scheitel, seine Brust, seinen Rücken, die rechte Schulter, die linke
Schulter und schließlich seine Armgelenke. Damit war die Salbung vollbracht, und als La Surie sich mir mit schalkblitzenden
Augen zuneigte, fürchtete ich, er werde jetzt einen seiner schrecklichen Scherze loslassen, und weil ich schon ahnte, welchen,
schloß ich ihm mit der Hand den Mund. Und da mein Vater ihn von der anderen Seite mit dem Ellbogen anstieß, blieb er tatsächlich
still.
Nachdem Ludwig gesalbt war, trat der Großkämmerer vor und bekleidete ihn mit einer Art Hemd und einer Dalmatika.
* * *
»Bitte, was ist eine Dalmatika?«
»Mit diesem Wort, schöne Leserin, wird eine Art Tunika aus blauem Satin bezeichnet, die mit goldenen Lilien bestickt ist und
die, wenn ich das sagen darf, Ihnen zum Entzücken stehen müßte, wenn Sie sind, wie ich Sie mir vorstelle.«
»Monsieur, wenn ich mich recht erinnere, teilen Sie Komplimente an Damen mit der Schöpfkelle aus. Trotzdem schönen Dank. Aber
ich möchte Ihnen eine Frage stellen.«
|70| »Madame, ich höre.«
»Entschuldigen Sie meine frivole Neugier, aber wie ich weiß, haben alle wichtigen Engel einen Namen. Wie hieß der Engel, der
das Salbgefäß nach Saint Rémy brachte?«
»Zuerst einmal, Madame, war dies ein weiblicher Engel. Natürlich weiß ich, daß die Theologen behaupten, Engel hätten keinen
Körper, kein Geschlecht. Aber, wenn die Doktoren der Angelologie erlauben, halte ich mich nun mal an die Engel des Alten Testaments
und besonders an jene, die Sodom besuchten und die sicher nicht körperlos waren, bedenkt man die besondere Gefahr, in die
sie gerieten. Was die Botin von Saint Rémy anbelangt, kenne ich zwar ihren Namen nicht, dafür aber
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