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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Zeremonie weithin sichtbar auf dem Hochaltar gelegen hatte,
     war angeblich die Krone Karls des Großen. Doch behaupten auch die Österreicher, diese zu besitzen und in Wien aufzubewahren,
     um ihre Kaiser zu krönen. Ich kann wahrhaftig nicht sagen, welche die echte ist und welche die nachgemachte, jedenfalls trägt
     die unsere zusätzlich zu ihren zweihundertdreiundsiebzig Perlen acht Lilienblüten, die sie fränkisch machen. Wie dem auch
     sei, sie wirkte sehr groß und schwer für den Kopf eines Kindes, und ich wette, man hat irgendeinen Kunstgriff angewandt, ihren
     inneren Umfang zu verringern, damit sie dem kleinen König nicht auf die Nase rutschte.
    Während Ludwig also saß und tapfer die Hand der Gerechtigkeit und das Szepter hielt (das Zittern seines rechten Arms hatte
     er gemeistert, indem er ihn an seinen Körper preßte), ging der Kardinal de Joyeuse mit großer Gebärde, nahm die Krone vom
     Altar und hob sie mit beiden Händen über das Haupt des kleinen Königs, ohne sie ihm aber schon aufzusetzen.
    Nun rief der Kanzler mit starker Stimme die geistlichen und die weltlichen Pairs beim Namen, diese scharten sich um Ludwig
     und legten die Hand an die Krone,
wie um sie mit zu tragen
: ein deutliches Symbol, aber wie schwer verleugnet im Verlauf unserer Geschichte! …
    Darauf faßte der Kardinal die Krone mit der linken Hand, segnete sie und setzte sie dem kindlichen König auf, und die |73| Pairs streckten die Hand hin, diesmal aber nicht, um die Krone mit zu tragen, sondern um an sie zu rühren.
    Dann folgten die Kniefälle und Beifallsbekundungen, dann zwei Küsse auf die königlichen Wangen von seiten des Kardinals und
     der zwölf Pairs. In diesem Moment ereigneten sich zwei kleine Zwischenfälle, die allerseits bemerkt wurden und deren erster
     einem aufmerksamen Zuschauer sehr zu denken gab, während der zweite ihm Lächeln oder Rührung abnötigte, je nach dem Grad der
     Liebe, die er für Ludwig empfand.
    Als die Reihe an den Herzog von Épernon kam, Ludwig auf die Wangen zu küssen – jener Herzog, von dem es hinter vorgehaltener
     Hand hieß, er könnte durchaus die Fäden gezogen haben, die Ravaillac zum Königsmord trieben –, griff Ludwig bei jedem Kuß,
     den der Herzog ihm gab, nach der Krone, als wollte er sie auf seinem Kopf festhalten. Dies veranlaßte den ganzen Hof zu halblautem
     Geraune, ohne daß man weiterzugehen wagte, denn die Anklägerin des Herzogs von Épernon, Mademoiselle d’Écoman, war in einen
     klaftertiefen Kerker geworfen worden und blieb dort auf Befehl der Regentin bis ans Ende ihrer Tage, denn man scheute sich,
     ihr den Prozeß zu machen, der so gefährlich hätte werden können für viele Hochgestellte – nicht nur für Épernon.
    Der letzte weltliche Pair, der Ludwig auf beide Wangen küßte, war der jüngste – der liebenswürdige Herzog d’Elbeuf. Er war
     ein Guise aus dem Zweig der Herzöge von Aumale. Er war Marquis d’Elbeuf von Geburt an und war mit fünf Jahren zum Herzog und
     Pair ernannt worden.
    Am Tag der Salbung war er gerade vierzehn Jahre alt und sah unter allen anderen sehr hübsch und anmutig aus in seinem Prunkgewand.
     Ludwig kannte ihn gut, sie hatten oft miteinander gespielt in Saint-Germain, in Vincennes und im Louvre. Und nachdem d’Elbeuf
     ihn auf beide Wangen geküßt hatte, gab ihm Ludwig einen kleinen Streich auf die seine. Danach tat er, als wische er sich die
     Wangen ab.
    * * *
    »Nun, schöne Leserin, sind Sie zufrieden?«
    »Zählen Sie mich zu den Gerührten, Monsieur. War es damit getan?«
    |74| »Aber nein! Auf die Krönung folgte die Messe, und sie war sehr lang, immer wieder von Gesängen unterbrochen, und Ludwig mußte
     sich erheben, um seine Opfergaben darzubringen. Von seinen königlichen Gedanken nun aber ein wenig abgelenkt, weil sein Alter
     die Oberhand gewann, versuchte er mit dem Fuß die Mantelschleppe des Marschalls de la Châtre, der vor ihm schritt, zu erwischen.
     Da der Marschall bei dieser Salbung das Amt des Konnetabels innehatte, mögen Sie sich vorstellen, was für ein Gesicht er gemacht
     hätte, wenn ihm sein prächtiger Mantel von den Schultern gerutscht wäre. Für mein Gefühl tat aber Ludwig nur so, als trete
     er ihm drauf. Allein die Vorstellung, den Marschall seines schönsten Schmuckes zu entblößen, mußte ihn belustigen, so satt
     war er all des Pomps, den man ihm fünf volle Stunden zumutete.«
    »Sie müssen ihn nicht so verteidigen, Monsieur! Aber bestimmt verschweigen Sie

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