Königskind
sagte er, indem er eine Hakenbüchse mit Radschloß von der Wand nahm. »Ich nenne sie so, weil
Monsieur de Blainville sie mir geschenkt hat. Und diese andere hier, die ich besonders schätze, weil sie präzise ist und weit
reicht, nenne ich ›meine dicke Vitry‹.«
»Warum ›dicke‹, Sire?« fragte ich.
»Weil Vitry mir zwei gebracht hat und diese die dickere ist.«
Während er sprach, sah ich, daß er in seiner Sammlung kleinerer Waffen auch eine Brustbüchse besaß, und ich fragte ihn, ob
sie noch im Gebrauch sei.
»Das ist eine kleine Hakenbüchse, die an der Brust angelegt wird und nicht an der Schulter. Sie ist ungenau. Im Kampf wird
sie kaum noch benutzt.«
Auf einmal lächelte er schalkhaft, faßte mich am Arm und führte mich zu den Wurfgeschossen, Bögen und Armbrüsten.
»Als ich noch kleiner war, gab man mir keine Feuerwaffen, und ich schoß viel mit diesen kleinen Waffen. Und unter meinen Armbrüsten
war mir diese hier die liebste.«
Damit hakte er sie ab und legte sie in meine Hände. Ich erkannte diejenige wieder, die ich ihm vor drei Jahren im Garten von
Saint-Germain-en-Laye geschenkt hatte, als ich ihn die ganze Zeit für den Sohn des Hauptmanns de Marsan gehalten hatte, der
damals die Garde des Schlosses befehligte.
»Es ist eine schöne Waffe«, sagte er, indem er sie mir wieder aus den Händen nahm, »man kann ihr vertrauen. Ich nenne sie
meine ›Siorac‹.«
»Ihr könnt ihr immer vertrauen, Sire. Hegt daran keinen Zweifel«, sagte ich, rot vor Glück.
»Das glaube ich«, sagte er fest und hängte die Waffe an ihren Platz.
|125| Dann wandte er sich zu mir, näherte seinen Kopf dem meinen und sagte leise: »Ich erinnere mich, von meinem Vater gehört zu
haben, Monsieur de Sully sei ihm ein sehr guter Diener. Wie denkt Ihr darüber?«
»Sire«, sagte ich überrascht, »der König Euer Vater täuschte sich nicht: Wie mein Vater mir sagte, hat Monsieur de Sully die
Finanzen des Reiches immer bewundernswert verwaltet.«
Ludwig nahm meine Antwort auf, indem er hierhin und dorthin schaute, als höre er gar nicht zu. Doch konnte ich nicht bezweifeln,
daß er sie gehört hatte, denn er fragte leise und mit gleichgültiger Miene weiter: »Und was hat er sonst getan?«
»Er hat Frankreichs Straßen und Brücken gebaut oder erneuert. Und als Großmeister der Artillerie hat er ein gewaltiges Arsenal
geschaffen.«
Auch dies schien er nicht zu hören, und mit einem Blick auf seine Uhr, die er an einem Band um den Hals trug, sagte er: »Schluß
mit der Besichtigung. Ich muß studieren.«
Er eilte mir aus der Waffenkammer voraus, machte Descluseaux ein Zeichen, hinter mir abzuschließen, lief in seine Gemächer
hinunter und an seinen kleinen Tisch, wo die Bücher auf ihn warteten. Er hatte eine Mathematikstunde und schien mir sehr aufmerksam
bei der Sache zu sein.
Ich blieb bei den anwesenden Herren stehen, stellte mich aber nicht zu Héroard, sondern an die Wand neben Vitry, den Sohn
jenes Vitry, der unserem Henri zu seinen Lebzeiten so gut gedient hatte. Als Gardehauptmann, wie sein Vater, hatte der junge
Vitry die gleichen rauhen Manieren, aber auch eine kühne Seele, denn er hatte nicht gezaudert, in ein Staatsgefängnis einzudringen
und einen seiner Soldaten zu befreien, den er für unschuldig hielt. »Ich habe Eure ›dicke Vitry‹ gesehen«, raunte ich ihm
zu. »Eine schöne Waffe!« – »Ja«, sagte er zufrieden, »eine schöne Waffe, und das Gute daran ist, der König kann damit umgehen.«
Aber als Monsieur de Souvré sich mißbilligend nach ihm umwandte, verstummte er.
Ich für mein Teil fragte mich nun, warum Ludwig mir diese Fragen über Sully gestellt hatte, da er doch sehr wohl wissen mußte,
daß dieser große Staatsdiener der Oberintendant der Finanzen, der große Wegebauer Frankreichs und der Großmeister der Artillerie
war. Aber vielleicht wollte er über die Fakten hinaus durch mich erfahren, wie mein Vater ihn einschätzte, |126| der so wie Sully einer der ältesten Weggefährten des seligen Königs war.
Aber die Gedanken, die ich mir hierüber machte, wurden wenige Minuten später schon beantwortet, denn als die Stunde zu Ende
und Ludwig aufgestanden war, seinem Lehrer gedankt und seine Bücher beiseite geräumt hatte, fragte er Monsieur de Souvré:
»Monsieur de Sully ist der Finanzen enthoben worden?«
Ich war baff: von dieser verhängnisvollen Entlassung hatte ich nichts gewußt. So abgeschieden in seinen
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