Königskind
mir alle so zugetan waren, und ich ihnen. So großartig der Louvre aussah, so
unbehaglich war er auch, und ich fühlte mich in dem riesigen Gemäuer wie verbannt aus dem kleinen Königreich, in dem ich Prinz
gewesen war. Um so mehr, als der wahre Prinz dieses Ortes mir noch immer dieselbe Kälte wie bei meiner Vorstellung bezeigte.
Ich zermarterte mir das Gehirn hierüber, ohne daß Héroard in seiner gleichbleibenden Distanziertheit mir erlaubt hätte, deswegen
auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln.
Seltsam, ich kann mich nicht entsinnen, an welchem Tag genau im Verlauf dieses Januars die Sonne plötzlich für mich aufging,
und noch seltsamer: obwohl ich diesen Tag im Kalender rot hätte anstreichen müssen, habe ich ihn nicht einmal in meinem Tagebuch
vermerkt. Der Szene jedoch erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen, so lebendig steht sie mir noch vor Augen.
Es war ein eisiger Morgen, und in den königlichen Gemächern waren nur wenige Personen anwesend: Monsieur de Souvré, Héroard,
Bellegarde, d’Auzeray, Hauptmann Vitry und Descluseaux. Der kleine König saß beim Frühstück, das aus Korintherbeeren in Zucker
und Rosenwasser, aus Brot, Butter und Kräutertee bestand, denn morgens bekam er keinen Wein. Er machte einen guten Eindruck
und aß schweigend und mit Appetit. Als er fertig war, befahl er Monsieur d’Auzeray, ihm eine Serviette zu reichen, säuberte
sich Mund und Hände, wandte sich auf einmal an mich und fragte: »Monsieur de Siorac, beliebt es Euch, meine Waffen zu sehen?«
|123| »Sehr gern, Sire«, sagte ich, und mein Herz klopfte.
Er stand auf und sagte in munterem Ton zu Descluseaux, einem französischen Gardisten, der ihm sehr lieb war und den er zu
seinem Waffenmeister gemacht hatte: »Descluseaux, lauf in den Oberstock und schließ mein Waffenkabinett auf!«
Descluseaux stieg die Treppe, vier Stufen auf einmal nehmend, hinauf, Ludwig folgte ihm dicht auf dem Fuße, und ich folgte
ihm. Sowie die Tür entriegelt war, faßte mich der König bei der Hand, zog mich in das Kabinett und schloß hinter uns die Tür.
Dort gab es, an der Wand aufgehängt oder in Ständern gereiht, alle Arten von blanken Hieb- oder Stichwaffen, die man sich
nur vorstellen konnte: alte, wie Bögen und Armbrüste, die nur noch zum Anschauen taugten, und ganz moderne, alle sehr gut
instand gehalten und fertig zum Gebrauch, besonders die Feuerrohre: Pistolen, Sattelpistolen, Hakenbüchsen mit Lunte oder
mit Rad. Sogar zwei kleine Kanonen samt Kugeln sah ich.
Ludwig konnte es nicht satt werden, die schönen Waffen mit Augen und Händen zu liebkosen, sie aber auch, wie ich hörte, auseinanderzunehmen,
ihren Mechanismus zu überprüfen, sie zu fetten oder zu entfetten, je nachdem, und sie mit überraschender Geschwindigkeit wieder
zusammenzusetzen, denn im Waffenbau war er ebenso kundig wie geschickt im Schießen. Er strahlte, wenn er sie nur berührte,
nicht daß er im mindesten blutrünstig war, sondern weil er sich in dem Moment seinem Vater nahe fühlte, dem Soldatenkönig,
auf dessen Spuren er sein ganzes Leben wandeln, als dessen Erben er sich erweisen wollte. Das Habsburger Blut seiner Mutter
dagegen hatte er sozusagen ein für allemal in sich verworfen.
Ich fand ihn wenn auch nicht gewachsen, so doch durch seine tiefe Trauer gereift, das Gesicht weniger rundlich, die Miene
sicherer, verschwiegen, und wenn er sprach, dann kurz und knapp, dabei stotterte er viel weniger als früher. Wohl war das
Gesicht in der Ruhe verschlossen, undurchschaubar, aber die großen schwarzen Augen blickten stets aufmerksam, und das Ohr
lauschte gespannt, was um ihn gesprochen wurde. Er wußte sehr wohl, daß er bislang nur den Anschein und den Pomp der Macht
hatte, und wartete mit einer weit über sein Alter hinausgehenden Vorsicht auf seine Stunde.
|124| Ich spürte, daß hinter dieser Zweisamkeit in seiner Waffenkammer ein Vorsatz steckte, wie auch eine Absicht hinter der Kälte
lag, die er mir so lange bezeigt hatte, während er mich mit seinen unsichtbaren Antennen beurteilte und abtastete. Und ich
war mir auch sicher, wenn er zu einer Entscheidung über mich gelangt sein würde, würde er sie mich auf indirektem Wege wissen
lassen, ohne es mir ausdrücklich mitzuteilen, so sehr mißtraute er Worten. »Wißt Ihr nicht, Monsieur de Souvré«, hatte er
eines Tages zu seinem Erzieher gesagt, »daß ich kein großer Redner bin?«
»Das hier ist meine Blainville«,
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