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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Weise ein Lösegeld abzupressen, ehe man ihr erlaubte, nach
     Paris zurückzukehren und in dem Hause zu leben, das ihr gehörte? Aber noch mehr vielleicht hatte das Gespräch mit Allory mich
     überzeugt, daß in diesem Land nichts geschah, was mit Geld zusammenhing, ohne daß die Marquise von Ancre oder ihr Mann davon
     ihren Zehnten abzweigte. So wurde der Schatz, der Frankreichs großen Interessen hätte dienen sollen, an der Nase des jungen
     Königs vorbei tagtäglich von gemeinen Abenteurern veruntreut, weil Ludwigs eigene Mutter so blödsinnig einverstanden mit diesen
     Veruntreuungen war.
    Diese Gedanken tauchten mich in ein solches Unbehagen und eine so tiefe Melancholie, daß ich, wieder in meiner Wohnung, mich
     über den Erfolg meiner Verhandlung überhaupt nicht freuen konnte, sosehr mir die Sache doch am Herzen lag. Erst am darauffolgenden
     Abend, als Montalto mir freundlicherweise das Schriftstück überbrachte, das Frau von Lichtenberg unsere Grenzen öffnete, überkam
     mich plötzlich ein Freudensturm, unter dem ich wie ein Blatt erbebte.
    * * *
    Wenn der Januar 1611 auch nicht so streng war wie der von 1608, als der Seinestrom zugefroren lag und viele Pariser erfroren
     und verhungerten, war er gleichwohl hart, und das Holz zum Heizen wurde sehr teuer. In den Häfen der Hauptstadt und besonders
     am Quai au Foin, dem Hafen gleich am Louvre, gab es ein so wildes Gebalge beim Verkauf der Scheite, die stromab mit den Lastkähnen
     kamen, daß mehrere arme Leute in das |119| eisige Wasser stürzten und ertranken. Das erzeugte Erbitterung im Volk, es murrte gegen den Zivilleutnant, dessen Polizei
     nichts tat, um solche Aufläufe zu regulieren, und nichts, die armen Menschen aus dem Wasser zu fischen.
    Dieser Zivilleutnant, Le Geay mit Namen, war derselbe, dessen Kommissare die von Toinons Ehemann gebackenen Brote gewogen
     und zu leicht befunden und unserem Bäckermeister die Wahl gelassen hatten, ob er ein Bußgeld zahlen oder etwas fürs Becken
     ausspucken wolle, und als Mérilhou etwas für besagtes Becken ausgespuckt hatte, ihm obendrein das Bußgeld abverlangten.
    Le Geay hatte das Amt des Zivilleutnants für achtzigtausend Ecus erworben, und so war sein einziger Gedanke hinfort nicht
     etwa, für die Sicherheit der Pariser zu sorgen, sondern sein Geld wieder hereinzuholen. Es lief das Gerücht um, er entschädige
     sich jährlich mit zwanzigtausend Ecus.
    Am zwölften Januar nun, als ich bei rauhem Wind zu Pferde den Pont-Neuf überquerte, gefolgt von La Barge auf seinem kleinen
     Spanier, der, so zierlich er war, immer noch zu groß für ihn wirkte, sahen wir auf der Kreuzung der Rue Dauphine einen ziemlich
     großen Volksauflauf um einen Galgen versammelt.
    Als La Barge vorausritt, um mir Durchlaß zu schaffen, teilte sich die Menge nur widerwillig, und ich sah mich direkt den Gardesoldaten
     gegenüber, dem Polizeioffizier, der sie befehligte, dem Henker, seinem Gehilfen und dem Verurteilten, der mit gebundenen Füßen
     und Händen darauf wartete, daß man ihm den Strick um den Hals legte. Es war ein Bürschchen, keine fünfzehn Jahre alt, sehr
     mager, mehr Schreck in den Augen als Todesangst, und er klapperte mit den Zähnen vor Kälte, denn es fror zum Steinespalten,
     und er hatte nur ein geflicktes Leinenhemd und eine zerlumpte Kniehose an. Bei seinem Anblick zügelte ich mein Pferd.
    Ein eingemummter Gerichtsvollstrecker verlas seinen Urteilsspruch, ein Mischmasch aus Latein und Französisch, der jedoch klar
     besagte, daß der Gefangene am Hals aufgehängt werden solle, bis daß der Tod eintrete. Hierauf rollte der Mann sein Papier
     ein und ging höchst eilig seiner warmen Stube und seinem Kaminfeuer zu – sein Rückzug, besser gesagt seine Flucht wurde vom
     Murren der Volksmenge begleitet.
    |120| »Was hat denn das Kerlchen getan?« fragte ich. »In seinem Alter kann er doch kaum schon sehr boshaft sein.«
    »Er hat ein Scheit gestohlen«, sagte der Polizeioffizier in sturem Ton.
    »Den Tod für ein Holzscheit!«
    »Gesetz ist Gesetz«, sagte der Polizeioffizier.
    »Bloß, daß es nicht gleich ist für alle!« sagte eine Gevatterin, die mich an Mariette erinnerte, so mächtig war ihr Busen
     und so schlagfertig ihr Mundwerk. »Wie hätte der Ärmste das Scheit denn kaufen sollen, wo er keinen Heller in der Tasche hat?
     So dünn, wie er angezogen ist, ganz blau ist er vor Kälte!«
    »Ach, was!« sagte der Polizeioffizier. »Der Strolch ist ein Höllenbraten. Der kriegt es warm,

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