Königskind
Schwierigkeiten befangen, während das Schwierige für sie
doch nur darin liegt, Situationen zu meistern, die für Männer immer viel einfacher sind.
»Mein Freund«, sagte sie endlich, »erlauben Sie, daß ich Sie etwas frage?«
»Gewiß, Madame, gewiß! Bin ich nicht ganz für Sie da?«
Sie schwieg aufs neue, während ich vor Ungeduld auf dem Siedepunkt war. Aber was half es? Ich spürte, daß ich sie nicht noch
einmal drängen durfte.
»Mein Freund«, sagte sie, »meine Frage ist: Haben Sie Ihr Leben in Ordnung gebracht?«
Jetzt verstand ich ihr langes Zaudern. Sie fürchtete, dieses Verhör könnte mich kränken, weil es zu bezweifeln schien, was
ich ihr versprochen hatte. Aber schließlich hatte sie sich überwunden, weil sie fest entschlossen war, unsere Zukunft nicht
auf Versprechen zu gründen, sondern auf Gewißheiten.
»Madame«, sagte ich mit zärtlicher Ironie, »spielen Sie damit auf Louison an?«
»Auf wen sonst?« entgegnete sie knapp, empfindlicher für die Ironie als für die Zärtlichkeit.
Ich ließ also meinen französischen Tändelton beiseite und wechselte zu größter Ernsthaftigkeit als der einzig geeigneten Weise,
zu einer Pfalzgräfin zu sprechen.
»Madame, am Tag, nachdem ich Ihnen mein Wort gegeben hatte, habe ich Louison zu meinem Vater zurückgeschickt und einen Koch
eingestellt.«
»Das haben Sie gut gemacht, mein Freund«, sagte sie mit erstickter Stimme.
Dann vernahm ich etwas, das sich nach einem Seufzer |176| anhörte. Daß sie sich unendlich erleichtert fühlte, verstand ich sehr gut, um wieviel mehr aber mußte sie bei ihrer so skrupulösen
Gewissenhaftigkeit sich erst in Heidelberg mit der Frage gequält haben, ob sie sich einen Liebhaber nehmen dürfe, noch dazu
einen, der halb so alt war wie sie. Wenn aber, dann wollte sie ihn wenigstens treu, gewiß aus natürlicher, eifersüchtiger
Besitzergreifung, doch vor allem, glaube ich, weil es in ihren Augen um die Würde unserer Verbindung ging.
»Mein Freund«, sagte sie, »bitte, öffnen Sie auf Ihrer Seite den Vorhang.«
»Madame!« sagte ich und sprang auf, »Sie tun mir überaus wohl. Bisher war mir, als redete ich zu einer Verwandten hinterm
Sprechgitter eines Klosters.«
»Nur daß ein Bett kein Sprechzimmer ist«, sagte sie mit einem kleinen Lachen, das die Spannung auf beiden Seiten verminderte
und dazu den Vorteil hatte, uns in menschlichere Wirklichkeiten zurückzubringen.
Ich ergriff mit der linken Hand den Vorhang – aus karmesinrotem Satin wie die Gardinen – und zog ihn an den Ringen zur Seite.
Im Kerzenschein erblickte ich Frau von Lichtenberg, die reichen schwarzen Haare über das Kopfkissen hingegossen, in einem
hellblauen Nachtgewand aus Seide, an Handgelenken und Kragen mit venezianischer Klöppelspitze besetzt und vorn mit Perlmutterknöpfen
verschlossen. Wiewohl bettlägerig, mußte sie ein wenig Toilette gemacht haben, denn ihre Haare wirkten frisch gewaschen, und
ihre Brauen waren mit einem Stift betont. Dafür trugen ihre Wangen keine Spur von Reispuder noch ihre Lippen von Rouge, sie
waren sozusagen meinen Initiativen überlassen.
Obwohl diese kleinen Beobachtungen, weil sie Vorbedacht zu verraten schienen, mir einigen Mut wiedergaben, war die Schönheit
meiner Gräfin, wie ich sie dort sah, dergestalt, daß sie mich schüchtern machte. Denn ich ahnte doch, daß es bei einer hohen
Dame einiger Annäherungen zur Liebe bedurfte, stufenweiser kleiner Zeremonien, die weder Toinon noch Louison mir je abverlangt
hatten, der Gedanke wäre ihnen nicht einmal gekommen. Auf die Gefahr hin, daß der Leser mich lächerlich finden könnte, will
ich hier rundheraus sprechen. Ich steckte in einem kleinen Problem, das mich zu Zeiten meiner Kammerkätzchen nie geplagt hätte:
wenn die Dinge die |177| Wendung nehmen würden, die ich mir erhoffte, wann genau sollte ich mich dann ausziehen und wie?
Frau von Lichtenberg mußte in meinen Augen gleichzeitig mit meiner Bewunderung auch meine Zweifel und Bangnisse lesen, denn
sie sagte herzlich: »Mein Freund, bleiben Sie doch nicht stehen, bitte, setzen Sie sich.«
»Madame«, sagte ich, »dazu müßte ich es können. Hier ist kein Sitz.«
»Wie?« fragte sie. »Sie haben nicht gesessen, als meine Vorhänge geschlossen waren?«
»Ich habe gekniet, Madame«, sagte ich, »wie es Ihrem Anbeter geziemt.«
»Ach, mein Freund, Sie können mich nicht immer nur anbeten!« sagte sie mit dem entzückendsten kleinen Lachen.
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