Königskind
»Einmal muß
es auch Gleichheit geben! Setzen Sie sich ohne Umstände auf mein Bett.«
Was ich tat, und aus einer dankbaren Regung, die ich nicht bezwingen konnte, ergriff ich einfach ihre Hand und bedeckte sie
mit Küssen, und schon wollte die Begrenztheit dieser Lust sich erschöpfen, als sie mir ihre Finger entzog, sie um meinen Nacken
schlang und mich mit solcher Kraft an sich zog, daß ich das Gleichgewicht verlor. Ich fiel also auf sie, ach, und was für
ein wunderbarer Fall dies war! Und nun ging es mit verhängtem Zügel, soviel Terrain bot sich meinen Lippen jetzt, von ihren
Lippen zu ihren reizenden Ohren, von ihren Ohren zu ihrem Hals.
»Mein Freund«, sagte sie endlich halblaut und mit leise bebender Stimme, »Sie können nicht so bleiben. Sie ersticken ja in
Ihrem Wams. Legen Sie doch vor dem Feuer ab. Und wenn Sie dort sind, geben Sie gleich noch ein Scheit ins Feuer.«
Ich bewunderte, während ich mich erhob, welch ein Gefühl für Feinheiten und Schicklichkeiten Frau von Lichtenberg hatte. ›Ablegen‹
hatte sie gesagt, nicht ›ausziehen‹. Sie hatte mir, um ›nicht zu ersticken‹, geraten, mein ›Wams‹ abzulegen, meinte doch zweifellos
aber meine ganze Kleidung, einschließlich der Hosen. Und um diese Operation gut durchzuführen, hatte sie mich vors Feuer geschickt,
das heißt an eine Stelle des Zimmers, wo ihre Blicke mich nicht in Verlegenheit bringen konnten, weil die Vorhänge auf jener
Seite des Baldachins zugeblieben waren.
|178| Die Entkleidungszeit kam mir lang vor, sosehr ich mich auch beeilte, doch als ich mich endlich in die Arme meiner Gräfin schmiegte,
erinnere ich mich, wurde meine Geduld ein letztes Mal auf eine harte Probe gestellt, weil ich mit meinen fliegenden Fingern
die sämtlichen Perlmutterknöpfe ihres Nachtgewands aufknöpfen mußte. Danach aber, den Göttern sei Dank, waren meine Lippen
jeder ernsthaften Unterhaltung verloren. Mein Denken auch. Ich gelangte in eine Welt, die mir bis dahin unbekannt geblieben
war, obwohl ich alle ihre körperlichen Riten kannte, eine Welt, wo das Gefühl die Lust in Glück verwandelt. Und dieses schien
mir so über menschliche Maße zu gehen, daß ich, kaum daß ich es erreicht hatte, auch schon bangte, es zu verlieren.
* * *
Ich verließ das Hôtel der Rue des Bourbons bei Dunkelheit, ohne mir viel daraus zu machen, daß Lachaise und das Gespann fünf
lange Stunden auf mich gewartet hatten, denn von Beck hatte sie aufs beste versorgt. Der Pfälzer Haushofmeister erklärte mir,
als er mich hinausbegleitete, daß er Tiere mehr liebe als Menschen, und weil er gesehen habe, wie Lachaise nach der Ankunft
um das Wohlergehen seiner Wallache so besorgt war, daß er sie nicht den Stallknechten überlassen wollte, habe er Achtung vor
ihm gewonnen und ihn ebensogut bewirtet wie seine Pferde: für sie frisches Stroh und Futter, für ihn Kapaun und Rheinwein.
Zurück im Champ Fleuri, schlief ich wie ein Stein und erwachte am nächsten Tag um Schlag elf, die Glieder wie gerädert und
doch frisch, den Kopf nur voll mit meiner heißen Liebe und das Herz sehnsüchtig nach meiner schönen Gräfin. Überrascht bemerkte
ich, als ich aufstand, daß meine Kammer nicht so eisig war wie am Vortag, und als ich einen Blick durchs Fenster warf, sah
ich, daß über Nacht Tauwetter eingetreten und der Schnee geschmolzen war. Also, fiel mir ein, könnte Ludwig bald nach dem
Mittagessen nach Saint-Germain-en-Laye fahren, und indem ich meine Mahlzeit mit ein paar Happen abtat, brach ich mit La Barge
unverzüglich zum Louvre auf.
Meine Nase hatte mich nicht getrogen. Kaum betrat ich die königlichen Gemächer, teilte mir Monsieur de Souvré mit, |179| Ludwig wolle mich mit Héroard und Vitry in seiner Karosse haben. Ich schickte La Barge, meinen Vater und Frau von Lichtenberg
über meine Abreise zu benachrichtigen. Meine Sorge war nur, daß er nicht vor unserer Abfahrt zurück wäre. Doch er kam rechtzeitig,
um noch in die Kutsche mit den Kammerfrauen der Königin zu springen, die er fast alle kannte und denen er allerhand vorzuschwatzen
pflegte, wenn auch nicht mit dem ersehnten Erfolg, dazu war er zu jung und zu klein. Aber die Späße meines Pagen ergötzten
sie, und sie steckten ihm mehr Bonbons und Marzipan zu, als er vertragen konnte.
Unser Gefährt brauchte dreieinhalb Stunden, um die Strecke vom Louvre nach Saint-Germain-en-Laye zurückzulegen, was tüchtig
war, obwohl wir eine der besten
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