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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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er um Punkt sechs Uhr zu Abend aß, suchte ich mein Quartier auf
     in der Hoffnung, selbst etwas essen zu können, weil ich seit den um elf Uhr verschlungenen paar Happen vor Hunger starb. Und
     wirklich fand ich ein gutes Feuer, einen gedeckten Tisch, und mit einem Glückwunsch an La Barge, daß er so flink und fein
     für mich gesorgt hatte, lud ich ihn zu meiner Mahlzeit ein, was er rot vor Freude annahm, auch wenn er kaum etwas essen konnte,
     so lag ihm das Zuckerwerk der Zofen im Magen. Deshalb blieb er während unseres Mahls auch ziemlich stumm, und ich, obwohl
     ich tüchtig zulangte, schwieg ebenfalls, weil ich an meine Gräfin dachte, aber auch, weil mir einfiel, daß, wenn der kleine
     Nicolas sterben würde, sein Tod allzu bald nach der Verbannung des Chevaliers de Vendôme käme und Ludwig abermals hart treffen
     würde.
    Um halb acht begab ich mich in die Gemächer des Königs, er wurde bereits zu Bett gebracht, was gewiß zu früh war, aber Monsieur
     de Souvré hatte gemeint, er bedürfte unbedingt der Ruhe nach der anstrengenden Reise. Ludwig schien sich beruhigt oder seinen
     Kummer verdrängt zu haben, und nach seinem Gähnen zu urteilen, wäre er auch gleich eingeschlafen, hätte Monsieur de Souvré
     in seinem Amtseifer nicht die unselige Idee gehabt, noch einmal von Nicolas zu sprechen. Dieses Ungeschick machte Ludwig wieder
     wach. Er wechselte die Farbe, setzte sich auf und fragte mit sehr bedrückter Stimme: »Gibt es kein Mittel, ihn zu retten?«
    »Sire«, sagte Souvré, »die Ärzte tun, was sie können, aber Ihr müßt zu Gott für ihn beten.«
    |182| Es war wirklich die dümmste Weise, Ludwig gerade vor der Nacht begreiflich zu machen, daß sein Bruder verloren sei.
    »Ich will ja zu Gott beten«, sagte Ludwig in höchster Angst, »aber kann man nicht noch anderes tun?«
    »Sire«, sagte Souvré, »Ihr müßt ihn der Lieben Frau von Loreto anempfehlen.«
    »Das will ich gerne«, sagte Ludwig fieberhaft, »aber was muß man dazu tun? Wo ist mein Almosenier? Monsieur de Souvré, laßt
     meinen Almosenier rufen!«
    Monsieur de Souvré, der mir selbst reichlich müde erschien, mußte nun wohl begriffen haben, daß er die Krankheit des kleinen
     Nicolas besser nicht in so düsteren Farben beschrieben hätte.
    Ludwig aber war so erregt, so aufs neue dem Weinen nahe, daß Monsieur de Souvré den Almosenier rufen ließ, der sich bald darauf
     einstellte, groß, dick und mit so schlichtem wie nichtssagendem Gesicht. Er fand, um Monsieur zu retten, würde es nicht ausreichen,
     ihn der Lieben Frau von Loreto anzuempfehlen, besser wäre es vielleicht, ein silbernes Bildnis der Lieben Frau von Loreto
     in Nicolas’ Lebensgröße zu stiften.
    »Man soll gleich nach Paris schicken!« rief Ludwig aufgeregt vor Hoffnung. »Man soll sich beeilen! Man soll diese Statue unverzüglich
     anfertigen!«
    Monsieur de Souvré, der bedauerte, den Anlaß zu diesem Aufruhr gegeben zu haben, versicherte ihn, es werde alles geschehen,
     und Ludwig begann mit lauter Stimme, mit Glut und Eifer für Nicolas zu beten, die Tränen strömten nur so über seine Wangen.
    Als er geendet hatte, trat Doktor Héroard, der bis dahin im Hintergrund geblieben war, an Ludwigs Bett und sagte mit fester
     Stimme: »Sire, schlaft in Frieden! Monsieur geht es besser. Ich bin ganz sicher.«
    Diese Worte taten ein Wunder. Ludwig stieß einen tiefen Seufzer aus, beruhigte sich, und ohne ein weiteres Wort legte er sich
     nieder.
    »Messieurs«, verkündete der Großkämmerer den Anwesenden mit seiner volltönenden Stimme, als sollte sie eine Kathedrale füllen,
     »zieht Euch zurück! Der König schläft.«
    Er schlief zwar noch nicht, war aber dem Schlummer nahe, |183| und sowie wir seine Gemächer verlassen hatten, fragte ich leise Héroard: »Geht es Monsieur wirklich besser?«
    »Nein«, raunte er, »ich habe es gesagt, um den König seiner Traurigkeit zu entreißen, damit er eine gute Nacht hat.«
    »Und wie steht es tatsächlich?«
    »Er stirbt.«
    Später erfuhr ich, daß der arme Nicolas nach zwei neuen Anfällen in einem so tiefen Schlaf lag, daß er kaum mehr zu sich kam.
     Er lebte noch einen Tag, und in der Nacht vom sechzehnten auf den siebzehnten November gegen ein Uhr morgens ging er in jenen
     Schlaf ein, aus dem niemand wiederkehrt. Doch wie Ludwig dies mitgeteilt wurde und durch wen, erscheint mir zu sinnträchtig,
     um es in diesen Memoiren auszulassen.
    Am siebzehnten ging ich früh morgens, gleich nach dem Frühstück

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