Königskinder (German Edition)
von dem sich viele gern verabschiedet hätten, lässt sich nicht blicken. Doch hat er vorausschauend daran gedacht, den Männern, die ihm während der Reise in seinem Hospital zur Seite standen, eine Art Zeugnis auszustellen.
Auf dem von der Bevölkerung abgeriegelten Pier tummeln sich Journalisten, Fotografen und Kameraleute, die von Polizisten in Schach gehalten werden. Der Daily Telegraph hat «unter den Internierten Fallschirmspringer, Kriegsgefangene und Hunderte von Personen» angekündigt, die sich in England «subversiv betätigt haben». Entsprechend sensationslüstern sind die Medienleute gestimmt. Was sie jedoch zu Gesicht bekommen, will nicht in ihr Bild passen. Die ausgemergelten Männer, orthodoxe Juden in der traditionellen schwarzen Kluft mit Hut, vornübergebeugte Brillenträger in schweren Überziehern und milchgesichtige Jugendliche in leichter Sommerkleidung über eckigen Schultern sehen nicht aus wie gefährliche Spione. Was ist davon zu halten?
Von australischen Wachmannschaften in schlecht sitzenden Uniformen und Filzhüten mit linksseitig hochgeschlagenen breiten Krempen werden die Männer über ein Stück Hafengelände zu den Eisenbahnschienen eskortiert. Gewohnt, mit Kolbenhieben drangsaliert zu werden, bewegen sich die Internierten mit übertriebener Eile, begreifen noch nicht, dass sie keiner mehr antreibt. Ein altmodischer Zug mit vergitterten Fenstern steht bereit. Wie Kisten auf Rädern sehen die Waggons aus, jeder mit nur einem einzigen durchgehenden Abteil und offenen Plattformen hinten und vorne. In Begleitung von jeweils zwei australischen Soldaten klettert eine Gruppe nach der anderen über die hohen Blechtritte in das Innere der Waggons. Sobald der erste Zug voll ist und das Hafengelände verlässt, nimmt ein weiterer seinen Platz ein, insgesamt sind es vier.
Der Sydney Morning Herald , dessen Reporter sich vom Augenschein nicht beirren lässt, berichtet tags darauf über die Verladung: «Einige runzelten die Stirn und blickten finster durch die Waggonfenster. Sie sahen aus wie Karikaturen gefährlicher Verschwörer, als sie aus dem Sonnenlicht in das Wagenabteil verschwanden.» Scott wird mit folgenden Worten zitiert: «Die Internierten wurden besser ernährt als die britischen Truppen. Als sie Australien erreichten, hatten sie gut an Gewicht zugelegt und flitzten über das Deck wie Zweijährige.»
Im Zug sind die Holzbänke hart, doch jeder hat einen eigenen Sitzplatz, schon allein das ist ein Genuss. Und niemand schlägt auf sie ein. Die australischen Wachposten sind ältere Männer mit sonnengegerbten Gesichtern. Breitbeinig postiert an den Schiebetüren zu den Plattformen, mustern sie schweigend ihre Fracht. Erich schämt sich für sein Aussehen und das seiner Mitgefangenen. Er ist neugierig, hellwach und gespannt auf alles, was da kommen mag.
Bis der letzte Zug abfährt, ist es bereits fünf Uhr nachmittags. Endlich ein langgezogener Pfiff, ein Ruckeln, und scheppernd setzt sich die Lokomotive in Bewegung, dicken schwarzen Rauch hinter sich herziehend. Zwischen hohen Ziegelmauern durchquert die Bahn das Hafengelände und erreicht dann Sydney. Stattliche Steinhäuser im Zentrum und lange Reihen hübscher Einfamilienhäuser aus Holz mit kleinen Vorgärten am Stadtrand. Nach zwei Monaten auf der Dunera ist alles, was die Männer durch die geschlossenen Fenster sehen, ein wahres Wunder. Bäume, Gärten, Straßenbahnen, Busse, Autos, Fahrräder, Kinder mit Schulranzen – und Frauen.
«Paramatta!», ruft ein Jugendlicher aus, als sie schon bald durch einen Bahnhof fahren, der so heißt. «Ich hab einen Film über eine Frau gesehen, die im neunzehnten Jahrhundert nach Australien deportiert und im Paramatta-Gefängnis eingesperrt wird. Paramatta gibt es also wirklich!»
Belustigung ruft auch hervor, dass viele der Orte, die sie passieren, nach englischen Städten benannt sind: Liverpool, Chester, Canterbury.
Nicht weit von Sydney in einer hügeligen Landschaft sind Reste eines Buschfeuers zu erkennen, die Bäume glühen noch. «Das haben sie extra für uns angezündet», scherzt Erich. Eine der australischen Wachen informiert sie, dass es in großen Teilen Australiens seit achtzehn Monaten nicht geregnet hat.
«So jung und schon ein Nazi. Hast du denn nichts anderes im Kopf?», brummt der Australier nach einer Weile dem sechzehnjährigen österreichischen Baron Christian Donnerstein zu, von dessen unschuldigem Gesicht er den Blick nicht wenden kann.
Sein Englisch klingt
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