Königskinder (German Edition)
liebster chłopak , auf den ich gut achtgeben muss. Wenn sie dich nach Kanada schicken, werde ich dir warme Unterwäsche kaufen.»
«Vorläufig bin ich noch hier, und es ist warm wie schon lange nicht mehr. Die Gelegenheit dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Wer weiß, wann sie wiederkommt, wir sind schließlich in England. Auf ins Schwimmbad! Ich kauf dir auch ein Eis.»
Hand in Hand schlendern sie hinüber zu Lansbury’s Lido. Trotz ihrer hochhackigen Schuhe sieht Irka neben ihm aus wie ein kleines Mädchen. Der an Wochenenden überfüllte Badeplatz am See ist an diesem Vormittag wie ausgestorben.
Erich öffnet den Verschluss seiner Kamera, deren Objektiv selbsttätig herausspringt, was Irka jedes Mal von neuem fasziniert. Sie stellt ein Bein vor das andere und setzt ihr melancholisches Lächeln auf, das ihr ihrer Meinung nach am besten zu Gesicht steht. Es ist gewagt, als «feindlicher Ausländer» in der Öffentlichkeit zu fotografieren, denn eigentlich hätte man den Fotoapparat zu Kriegsbeginn abgeben müssen. Doch Erich konnte sich von seiner Voigtländer Bessa nicht trennen, mit der er leidenschaftlich Schwarzweißfotos aufnimmt, Format 45 × 60 Millimeter.
Ein älterer Herr, der sie mit einem verklärten Lächeln beobachtet, bietet sich an, ein Foto von ihnen zu machen. Erich legt den Arm um seine kleine Frau.
«Ein schönes Paar», murmelt der Engländer, als er durch den Sucher blickt. Dann drückt er den Auslöser. Es klickt.
Mit einer angedeuteten Verbeugung reicht er Erich die Kamera zurück. «Es war mir ein Vergnügen.»
«Vielen Dank.» Erich verbeugt sich seinerseits formvollendet und streckt ihm die Hand hin. «I’m Eric. That’s Irene. We’re enemy aliens.»
Irka stößt Erich mit dem Ellbogen in die Rippen. «Bist du meschugge?»
«Gut getarnt, merkt man gar nicht!», lacht der Mann.
«Siehst du», schmunzelt Erich. «Die Engländer werden die Jerries nicht hereinlassen. Sie haben viel zu viel Humor. Und jetzt ab ins Wasser. Ich möchte sehen, wie sich deine Brüste im nassen Badeanzug abzeichnen. Davon mach ich mir dann ein Foto und nehm es mit nach Kanada!»
Irka kichert verlegen. Sie mag es, wenn ihr Junge schlüpfrige Bemerkungen macht.
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2
Zu Kriegsbeginn mussten Irka und Erich sich bei der englischen Polizei registrieren lassen und einmal wöchentlich melden. Nachdem sie vor ein Tribunal geladen worden waren, das darüber zu entscheiden hatte, bei welchen deutschen und österreichischen Ausländern im Land es sich um echte Flüchtlinge handelte, und ihnen die Flüchtlingskategorie C zuerkannt wurde, wähnten sie sich unter dem offiziellen Siegel «refugees from Nazi oppression» in Sicherheit. Irkas Fall schien von Anfang an eindeutig zu sein, schließlich war sie Jüdin, doch Erich hatte Glück, denn manche Tribunale begriffen nicht, dass auch sogenannte Arier überzeugte Nazigegner sein konnten.
Etwa sechshundert Personen wurden der Kategorie A zugeordnet. Sie galten, ob gerechtfertigt oder nicht, als hochgradiges Sicherheitsrisiko und wurden sofort interniert. Ungefähr genauso viele fielen in die Kategorie B, sie unterlagen gewissen Reisebeschränkungen. Die überwiegende Mehrzahl, etwa 55000 Menschen, wurde als Flüchtlinge anerkannt und konnte sich weiterhin frei bewegen.
Beruhigt setzten Erich und Irka ihre Arbeit als Hausangestellte fort; die einzige Tätigkeit, die ihnen erlaubt war. Sie waren auf einem Landsitz in den Hügeln von Wiltshire in Südengland beschäftigt, Erich als Butler, Irka als housemaid . Sie hatten zu essen und ein Dach über dem Kopf, und sie waren zusammen. Während Irka die Wohnräume sauber hielt, musste Erich das Billardzimmer aufräumen und für die Herrschaften den Tisch decken. Als Arbeitersohn hatte er keine Ahnung, wohin er Fischmesser und Dessertlöffel legen sollte. Mit einem Plan in der Hand, den Irka gezeichnet hatte, gelang es ihm leidlich.
Es ging ihnen nicht schlecht in Wiltshire. Rund um das prachtvolle Gebäude nichts als saftige Wiesen und Schafherden, Herrschaftsgüter mit üppigen Gärten und altenglische Landhäuser mit Strohkapuzen. An ihren freien Tagen unternahmen sie Ausflüge nach Shaftesbury und Salisbury. Doch gerade die Idylle war schwer auszuhalten. Mit wachsender Beunruhigung verfolgten sie den Kriegsverlauf. Der Kontakt zu ihren Verwandten war inzwischen abgebrochen. Erichs Vater und seine Brüder in Wien, vor allem aber Irkas Eltern und ihr jüngerer Bruder im besetzten Warschau
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