Königskinder (German Edition)
Nummer 54323 auf dem Schiff Dunera nach Australien gereist und am sechsten September in Sydney angekommen sei. «Es werden Vorkehrungen getroffen, um den Ehefrauen zu ermöglichen, ihren Männern in die freiwillige Internierung zu folgen. Halten Sie bitte Kontakt mit Bloomsbury House, Bloomsbury Street, W.C.1., das Sie über das Datum Ihrer Abreise in Kenntnis setzen wird.»
Auch Erich hat Irka inzwischen per Luftpost eine Karte an Mrs. Needhams Adresse gesendet, von ihrem Umzug weiß er noch nichts. Es ist ein Vordruck, auf dem seine neue Adresse steht, sowie die beiden Sätze in Englisch, Deutsch und Italienisch: Es geht mir gut. Brief folgt bei nächster Gelegenheit. Versehen mit dem Zusatz: Diese Postkarte wird vernichtet, falls irgendetwas anderes hinzugeschrieben wird . Nur Irkas Adresse, die Unterschrift mit der Internierungsnummer 54323 und das Datum 13. September 1940 zeigen Erichs Handschrift. Die vom Zensor abgestempelte Postkarte kommt zu einem Zeitpunkt an, da Irka schon Bescheid weiß.
London, 18. September 1940
Mein lieber Junge, was für eine Freude, als ich erfuhr, dass Du angekommen bist. Die Überfahrt war sehr stürmisch, habe ich in der Zeitung gelesen. Wie lange wird es wohl dauern, bis Du diesen Brief lesen kannst? Vielleicht bin ich dann nicht mehr auf der Welt, denn unser Leben hängt jetzt an einem seidenen Faden. Es ist zu schrecklich, um es zu beschreiben. Wenn wir einmal zusammen sein sollten, werde ich es Dir erzählen. Du hast eine Zukunft vor Dir, darüber bin ich froh, Du wirst die Ideale, für die wir gekämpft haben, für uns beide umsetzen. Was mit mir sein wird, weiß der Himmel. Diesen Brief jedenfalls wirst Du noch bekommen. Ich bin so grenzenlos einsam in dieser Welt, wo der Tod vom Himmel regnet. Wäre ich mit Dir, würde ich mich weniger fürchten.
Erinnerst Du Dich an unseren herzzerreißenden Abschied? Genieße die Zeit des Wartens, bis der Krieg vorüber ist, lern, ruh Dich aus, freu Dich über den Himmel, der nur Regen oder Sonnenstrahlen sendet und keine Bomben. Vielleicht bin ich ja auch bald bei Dir, ich traue mich gar nicht, daran zu denken, man wird ja direkt abergläubisch. Wie glücklich wäre ich!
Wo sind unsere Träume von einem glücklichen, ruhigen Leben, mein Junge? Wo ist unser Heim? Sollte ich Dich nicht mehr wiedersehen, so sende ich Dir meine größte Liebe und die heißesten Küsse. So wie es gekommen ist, ist es gut, denn Du bist in Sicherheit. Es wäre schade um Dich, mein Allerliebster. Die Hoffnung, dass ich bald fahren werde und Dich in meine Arme schließen kann, hilft mir vielleicht doch noch durch diese Hölle. Wenn ich damals gefahren wäre, am 3. August, hättest Du ein schönes Geschenk von mir gekriegt: eine Baby-Schreibmaschine. Jetzt weiß ich nicht, was von meinen Sachen noch übrig bleiben wird. Aber ich rede Unsinn, es wird alles gut. Sollte ich fahren, sende ich Dir ein Telegramm, damit Du die Tage bis zu unserem Wiedersehen zählen kannst. Ich bin sehr müde, mager und hässlich, da ich seit über zwei Wochen kaum schlafe. Wenn ich bei Dir bin, werde ich mich erholen. Ich hoffe, es geht Dir gut in dem sonnigen, friedlichen Land.
Deine Irka
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18
Wie Maulwürfe kriechen die bleichen, unrasierten Gestalten aus dem Bauch des Schiffes und klettern unsicher die schwankende Gangway hinunter. Benommen blinzeln sie in die Sonne und atmen die Meeresbrise ein. Was für ein Licht! Ein letztes Mal stoßen die Soldaten im Spalier mit ihren Kolben zu.
Die Ausschiffung dauert nicht lange, denn da kaum einer noch Gepäck hat, gibt es nicht viel zu kontrollieren. Teils hämisch, teils peinlich berührt schauen die Wachposten den Internierten nach. Die Unterschiede ihrer sozialen Herkunft, die das Zusammenleben der Männer interessant, aber auch konfliktreich gestaltet haben, sind nicht mehr zu erkennen. Schneider, Bankiers, Pianisten, Universitätsprofessoren und Fischhändler sind gleichermaßen ausgezehrt und zerlumpt. Einige haben aus Autoreifen gefertigte Sandalen an den Füßen, die ein findiger Schuhmacher während der Reise zusammengeschustert hat. Wie alle anderen hat Erich Mühe, sich gerade auf den Beinen zu halten. Daran gewöhnt, den Bewegungen des Schiffes mit dem Körper zu folgen, fühlt sich der unnachgiebige Boden seltsam instabil an.
An der Reling stehen Matrosen und Soldaten und sehen schweigend auf die jämmerliche Fracht hinab, die sie in eine ungewisse Zukunft entlassen. Der Militärarzt Dr. Brooks,
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