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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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seltsam. Das einzige Wort, das Christian, der fließend Englisch spricht, versteht, ist «Nazi». Er begreift, was der Australier sagen will. «He, ich bin doch kein Nazi!», ruft er empört und springt vom Sitz.
    «Keiner von uns ist ein Nazi», erklärt Arthur, der neben Erich und Otto Platz genommen hat und mit ihnen und Christian eine österreichische Enklave bildet. Was gar nicht nötig ist, denn es gibt erstaunlich viele Österreicher, bedenkt man, wie winzig das nach dem Ersten Weltkrieg geschrumpfte und nun dem Deutschen Reich einverleibte Land ist.
    «Wir sind die größten Feinde der Nazis. Manche von uns sind in Österreich und Deutschland Widerstandskämpfer gewesen. Der da» – er deutet auf Erich – «ist für seine Meinung fast ein Jahr im Gefängnis gesessen. Und außerdem sind die meisten von uns Juden.»
    «Juden?» Der bullige Soldat, der gewiss über sechzig ist, schaut verblüfft. «Die werden doch da drüben in Konzentrationslager gesteckt. Das kann man sogar bei uns in den Zeitungen lesen.»
    «So ist es. Wir sind alle Flüchtlinge, die man in England interniert hat. Wären wir in unseren Ländern geblieben, wären die meisten von uns vielleicht schon tot.»
    «Ich habe noch nie einen Juden gesehen.»
    «Jetzt hast du die einmalige Gelegenheit, viele kennenzulernen, echt viele», lacht Arthur. «Wie gefallen wir dir?»
    «Tja, ein bisschen heruntergekommen seid ihr.»
    «Was glaubst du, wie es uns auf dem Schiff ergangen ist? Dass wir halbwegs heil in diese Eisenbahn gestiegen sind, grenzt an ein Wunder.»
    Der Australier schüttelt den Kopf. «Juden. Na, so was! Und jetzt?»
    «Das würden wir auch gern wissen.»
    «Ich heiße übrigens Jack.»
    Otto, Erich, Arthur, Christian, Siegfried, Florian, Heinrich, Hermann, Günther … So viele deutsche Namen kann sich der arme Aussie auf keinen Fall merken.
    Die Anspannung löst sich in erleichtertes Gelächter auf. Jack setzt sich auf einen freien Platz, die Flinte aus dem Ersten Weltkrieg zwischen den Knien. Er schweigt. Man kann förmlich sehen, wie in seinem Hirn die Fragen kreisen.
    «Und wieso? Das verstehe ich nicht.»
    «Da musst du die Regierung deines Mutterlandes fragen», sagt Erich. «Die haben euch ordentlich was eingebrockt. Jetzt habt ihr uns am Hals, und wir sind ein Haufen Querulanten. Höchste Zeit, dass ihr euch von England unabhängig macht. Wohin bringt man uns eigentlich?»
    «Das darf ich euch nicht sagen. Aber die Fahrt wird lang. Australien ist ein großes Land.»
    «Ein großartiges Land», fügt sein Kamerad hinzu. Liebe und Stolz sind ihm ins Gesicht geschrieben.
    «An lange Reisen sind wir gewöhnt. Jeder von uns hat schon mehrere hinter sich.»
    Jack nimmt seinen Hut ab, wirft ihn ins Gepäcknetz und lockert sein Lederkoppel. «Und ich wollte endlich mal echte Faschisten zwischen die Finger kriegen. So hat man es uns versprochen. Wenn ich schon nicht mehr kämpfen kann, wollte ich mich wenigstens auf diese Weise bewähren.»
    «Pech gehabt, mein Lieber. Wir würden auch gern unseren Beitrag leisten, aber man lässt uns nicht. Dafür können wir aber Freundschaft schließen. Dürfen wir hier rauchen?»
    «Natürlich, steckt euch eine an.»
    Vom Waverley-Vorrat sind nur noch ein paar traurige Exemplare im Umlauf. Jack zieht einen Tabakbeutel aus der Uniformtasche und gibt jedem eine Portion Tabak und ein Blättchen.
    «Und du, Bürschchen, darfst du auch schon rauchen?», fragt er den jungen Baron.
    «Wenn ich alt genug bin, interniert und deportiert zu werden, bin ich auch alt genug, um zu rauchen.»
    «Auch wieder wahr.»
    Jack steht auf und macht sich daran, mit dem Gewehrkolben die improvisierten Gitter vor den Fenstern herunterzuschlagen. Dann öffnet er die Fenster und ruft dem anderen Posten zu, es ihm gleichzutun. «Das sind Flüchtlinge, keine Nazis!» Und zu den Internierten gewandt: «Das ist streng verboten, damit ihr es wisst.»
    «Wir sagen’s nicht weiter.»
    «Das fängt doch besser an als die letzte Etappe», flüstert Erich Otto auf Deutsch zu.
    «Gebt her», sagt Jack, als er sieht, wie ungeschickt sich die Männer mit dem Tabak anstellen. «Und halte doch bitte mal mein Gewehr.»
    «Siehst du das?», wundert sich Erich. «Der gibt doch glatt dem Grünschnabel sein geladenes Gewehr zum Halten! Australien gefällt mir immer besser.»
    Die eigene Zigarette schief im Mundwinkel, breitet Jack ein Taschentuch auf seinen Knien aus und macht sich an eine Großproduktion Selbstgedrehter. «Wenn ihr in

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