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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Himmel. Dann macht die Wolke einen Haken, und beim Flug in die andere Richtung schimmert es rot.
    «Galahs», sagt Jack, ohne aufzublicken, als wären Kakadus am Himmel das Normalste von der Welt.
    Kreischend kommt der Zug schließlich zum Stillstand. «Terminus», meldet Jack und streckt sich. Der Endpunkt der Bahnlinie ist erreicht: Hay.
    «Booligal ist noch schlimmer», sagt Jack.
    Einer, der noch eine hat, sieht auf die Uhr: «Neunzehn Stunden.»
    Ein hübscher verwitterter Bahnhof aus rostrot und weiß gestrichenen Ziegeln mit einem Dach aus Wellblech und einer Plattform mit schlanken gusseisernen Säulen zu beiden Seiten des Hauptgebäudes. Auf den ersten Blick erscheint dieser Ort unter dem gleißenden Himmel wie ausgestorben. Irgendwo kläfft ein Hund. Die Sonne steht schon hoch am Himmel.

[zur Inhaltsübersicht]
    19
    London ist in Finsternis getaucht. Menschen stürzen in Teiche und fallen von Brücken in den Fluss. Überall in der Stadt hängen Plakate, die Fußgänger während des Blackouts zur Vorsicht mahnen. Sie sollen gegen die Fahrtrichtung laufen und helle Kleidung tragen. Die Straßen werden mit einer weißen Linie in zwei Teile zerschnitten, auch Bordsteinkanten sind weiß gekennzeichnet. Wegen der vielen Unfälle wird die Geschwindigkeitsbegrenzung von PKWs und Autobussen während der Verdunkelung auf zwanzig Stundenmeilen gesenkt. Leute tragen Armbänder, die am Tag Licht aufnehmen und es nachts abstrahlen. Und es werden kleine Taschenlampen ausgegeben, doch sind die entsprechenden Batterien schwer zu bekommen. Wer glücklicher Batteriebesitzer ist, muss Seidenpapier um die Taschenlampe wickeln und den Lichtstrahl nach unten richten. Ladenbesitzer stehen vor dem Problem, wie ihre Kunden ihr Geschäft verlassen können, ohne Licht nach draußen zu senden. Abhilfe schafft eine doppelte Tür wie in der Dunkelkammer eines Fotografen.
    Zu Kriegsbeginn hat die Regierung Gasmasken verteilt und dafür Sorge getragen, dass jeder Haushalt über genügend Verdunkelungsstoff aus schwarzer Baumwolle verfügt. Er ist so billig, dass auch die ärmsten Familien ihn sich leisten können. Das Montieren des Stoffs ist mühselig. Um eine vollkommene Verdunkelung zu erreichen, sind zwei oder drei Lagen nötig. Morgens fällt das Aufstehen auch ohne durchwachte Nacht schwer, weil kein Tageslicht in die gruftähnlichen Schlafzimmer dringt. Manche behelfen sich mit schwarzem Papier und Reißzwecken, wenn man das Papier aber öfter abnimmt und wieder befestigt, ist es schon bald zerrissen. Zudem verkleben die Leute die Fenster mit Papierstreifen, um zu verhindern, dass zerbrochenes Glas durch die Gegend fliegt. Die Menschen hausen im Halbdunkel. Irka hat ihre Streifen in phantasievollen Mustern angebracht, genügend Zeit hat sie ja.
    Anfangs findet sie die totale Finsternis aufregend. Wie gern wäre sie mit Erich ein Liebespaar, wie sie sie auf den nächtlichen Straßen eher ahnt als sieht. Eine Großstadt ohne störendes Licht in der Nacht ist ein seltenes Ereignis. Doch wie alle anderen zieht sie es aus Angst vor Überfällen vor, abends das Haus nicht zu verlassen. Ab und zu gehen die Freundinnen gemeinsam ins Kino, um sich abzulenken. Den Film «Die Früchte des Zorns» nach dem in der Weltwirtschaftskrise spielenden sozialkritischen Roman von John Steinbeck müssen sie unbedingt sehen, Bomben oder keine.
    Die Wochenschauen werden mit großem Interesse verfolgt. Über Mussolini wird noch befreiend gelacht, über Hitler längst nicht mehr, wie grotesk dieser starr blickende, bellende Hampelmann auch aussehen mag. Wie ernst er zu nehmen ist, weiß man, seit seine Bomben England überziehen. In der heutigen Wochenschau wird berichtet, dass bei einem deutschen U-Boot-Angriff das Passagierschiff City of Benares versenkt wurde. Von den 406 Menschen an Bord haben nur 159 überlebt. Und Churchill gibt im Unterhaus bekannt, dass die britische Zivilbevölkerung durch die deutschen Luftangriffe in der ersten Septemberhälfte etwa zweitausend Tote und achttausend Schwerverletzte zu beklagen hat.
    Dann der eigentliche Film: Eine Familie aus Oklahoma, die alles verloren hat, macht sich auf der Suche nach Arbeit auf den Weg nach Kalifornien, wo es ihr auch nicht besser ergeht. Dennoch endet der Film optimistisch: «Sie können uns nicht auslöschen, sie können uns nicht unterkriegen», sagt die Mutter. «Wir werden immer weitermachen, Pa, denn wir sind das Volk.» Am Ende der Vorstellung die Nationalhymne, «God Save the King».

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