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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Australien überleben wollt, müsst ihr das lernen.»
    Farbloser Wald und eintönige graubraune Ebene wechseln sich ab. Am späteren Nachmittag, noch vor Einbruch der Dunkelheit, die in Australien, so erklärt Arthur, ohne Dämmerung hereinbrechen wird, hält der Zug an einem einsamen Bahnhof mit einer Ansammlung niedriger Holzhäuser, nach australischen Verhältnissen vermutlich eine Kleinstadt.
    «Goulburn, aha», sagt Erich.
    Vor dem Stationsgebäude mit dem windschiefen Vordach stehen weiß gedeckte Tische und dahinter schlanke Damen in weißen Schürzen. Vor ihnen türmen sich kleine Pappkartons. Die Damen haben gepuderte Gesichter und tragen Lippenstift. Ihre Haare liegen in festen Locken um den Kopf.
    «Die schauen aber komisch aus», sagt einer der Jugendlichen.
    «Frauen, immerhin», wirft ein Älterer ein. «Kannst du dich noch erinnern, wann du das letzte Mal ein weibliches Wesen gesehen hast? Da haben’s die Homos besser. Hat dich übrigens noch keiner angebaggert? So hübsch, wie du bist.»
    Der Junge errötet.
    Doch bald verlagert sich die Aufmerksamkeit von den Damen auf die geheimnisvollen Pappkartons, die von den Wachen verteilt werden. Sie enthalten Schinken-Käse-Sandwiches aus Weißbrot, fein säuberlich in Dreiecke geschnitten und in Papierservietten eingewickelt. Weißbrot. Es ist eine Ewigkeit her, seit sie Weißbrot gegessen haben. Weiches Weißbrot, das förmlich im Mund zerfällt, mit Butter und einem Blatt Salat zwischen dem Käse und dem Schinken. Dazu ein saftiger grüner Apfel, eine Banane und Schokolade.
    Nach diesem Genuss beginnen sich die Internierten für die Nacht einzurichten. Einige beenden den Tag mit einem Schach- oder Kartenspiel. Es ist kühl geworden, doch keiner hat eine Decke dabei und nur wenige einen Mantel. Manche legen sich zu zweit auf eine Bank, um sich gegenseitig zu wärmen. So unbequem das Nachtlager auch ist, die Müdigkeit obsiegt, schließlich haben sie inzwischen gelernt, unter weit schlimmeren Bedingungen zu schlafen.
    Früh am Morgen dann gellt ein Schrei durchs Abteil. Schlaftrunken heben sich die Köpfe.
    «Kängurus!»
    Wie elektrisiert springen alle auf.
    Die großen rotbraunen Tiere halten ihre kurzen Vorderbeine possierlich vor sich über der Brust gekreuzt, drehen die Köpfe neugierig den Waggons zu und springen dann, sich mit ihrem muskulösen Schwanz abstoßend, in erstaunlichem Hoppeltempo neben dem Zug her, als liefen sie mit ihm um die Wette. Eine ganze Weile können sie das Tempo halten.
    «Jetzt sind wir wirklich in Australien!», rufen die Jugendlichen aufgeregt.
    Die Landschaft ist über Nacht noch öder geworden. Flach wie eine Scheibe breitet sich die Nullarbor-Ebene zu beiden Seiten der Schienen in die Unendlichkeit aus. Rötliche Erde, spärlich bewachsen von graugrünem Gras. Kein Busch, keine Erhebung, nur ab und zu eine Schafherde. Was mag das einsame Holzhaus mit dem verrosteten Wellblechdach im Nirgendwo bloß sein? Ein Saloon wie in einem amerikanischen Western?
    Der exotische Anblick der Kängurus hat selbst die Schläfrigsten munter gemacht, amüsiert beobachtet von Jack, der, anstatt auf die Internierten aufzupassen, die ganze Nacht mit offenem Mund geschnarcht hat.
    Weitere Stunden vergehen. Die langbeinigen Emus sind die einzige Abwechslung. So einen großen Vogel hat noch keiner der Männer gesehen. Einige Male hält der Zug an stillen Bahnhöfen, die sich nach hinten zu einem Bündel trübseliger Häuser öffnen. Gelegentlich taucht eine Rinderherde auf. Bäume gibt es längst nicht mehr. Allmählich dringt den Männern die gigantische Größe Australiens ins Bewusstsein.
    Erich seufzt. «Es wird lange dauern, bis wir wieder ins Kino gehen können.»
    «Wir sind hier mitten im Outback. Wie weit von Sydney ist unser Zielort eigentlich entfernt?», fragt Otto Jack.
    «Jetzt kann ich es euch sagen, denn wir kommen bald an. Ich wollte euch nicht gleich rebellisch machen. 750 Kilometer.»
    «Gibt’s eigentlich Schwarze in Australien?», fragt einer.
    «Ja, Aborigines gibt’s noch ein paar.» Jack scheint das Thema unangenehm zu sein. «Aber nicht in Hay.»
    «Hay?»
    «Jetzt hab ich mich verplappert! Ja, Hay heißt der Ort, wo ihr aussteigen werdet.»
    «Heu. Klingt vielversprechend.»
    «Hell is hot, but Hay is a hell of a lot hotter», sagt Jack und lacht.
    «Und jetzt kommt auch noch der Sommer», sagt Otto.
    «Da!» Ein erneuter Aufschrei.
    Eine weiße Wolke nähert sich. Ein riesiger Vogelschwarm durchschneidet den

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