Körper-Haft (German Edition)
Bildschirm. Im Nachhinein dachte ich noch. »Was für ein Blödsinn, ich hätte auch einfach durch den Tisch durchlaufen können! Verfluchte Konditionierung!« Ich suchte in der Statusleiste des Bildschirmes nach der Datumsanzeige am Bildschirmrand. Bingo! Wenn das Datum nicht versehentlich falsch eingestellt war, hatte ich den heutigen Tag erwischt!
Meine Freude verflog jedoch zusehends, denn einen neuen Ansatzpunkt für meine Indiziensuche hatte ich immer noch nicht gefunden. Ich sah mich im ganzen Büro um, aber wonach suchte ich eigentlich? Gedankenverloren starrte ich auf seinen Bildschirm, der plötzlich dunkel wurde und auf den Bildschirmschoner umschaltete. Ein Laufband aus einer verspielten Schreibschrift zog sich in geschwungener Form über den Schirm:
Mein Poesiealbum
Das passte in keinster Weise zu Mike. So etwas Filigranes und Persönliches würde er nie auf seinen Rechner spielen. Dann erinnerte ich mich. Er hatte auf seinem Computer einen Bildschirmschoner installiert, auf dem alle seine Freundinnen einzeln aufgeblendet wurden, um ein paar Sekunden später für eine Neue zu verblassen. Ich hatte es nie geschafft, die gesamte Schleife zu sehen. Entweder hatte er zu viele Bestäubungsopfer in seiner Historie oder er hatte vor lauter Angeberei noch ein paar hinzugefügt.
Eine Weile schaute ich auf den Bildschirm. Es waren praktisch keine Porträts dabei, sondern nur Gesamtaufnahmen, meist in figurbetonten Kleidern oder im Bikini. Ein großer Teil der Bilder waren in Mikes Penthouse-Wohnung gemacht worden. Ich schüttelte den Kopf und wollte gerade gehen, als ein Bild von Sunny und mir auftauchte. Wir standen beide vor dem Empfangstresen der Agentur und winkten in die Kamera. Hinter uns stand noch der alte Schriftzug. RegenSchirmer – Film- und Eventagentur . Ich erinnerte mich, dass Emilie, unsere Art Directorin, das Bild auf die Schnelle geschossen hatte. Sunny und ich waren gerade auf dem Weg zu einer kleinen Besprechung im Thai-Restaurant um die Ecke gewesen und winkten zum Abschied gut gelaunt in die Linse.
Wie war Mike an das Bild gekommen? Und warum steckten wir zwischen all seinen Liebschaften in seinem sogenannten Poesiealbum ? Irritiert schaute ich in seinem – meinem! – Büro umher, starrte auf all die protzigen Vitrinen mit den glänzenden Staubfängern darin. Erneut fiel mein Blick auf den Bildschirmschoner, nach wie vor gab eine Frau der anderen virtuell die Klinke in die Hand. Und da verstand ich: Mike hatte nicht nur einen an der Klatsche – er war ein Sammler!
Abflug
Ich erschrak! Irgendetwas zerrte an meinem Arm. Ich schaute an mir herunter, aber da war nichts. Ich stand immer noch in der Agentur hinter Mikes Schreibtisch. Das Zerren wurde immer stärker, ja geradezu körperlich. Körperlich! Verdammt! Eine heiße Welle aus Angst stieg in mir auf. Ich musste zurück!
Ich schreckte in meinem Körper auf, als wäre ich aus zehn Meter Tiefe um Luft ringend durch die Wasseroberfläche gestoßen. Mein Arm war fest von einer Hand umklammert. Gerade so, als hätte mich diese Hand in der Tiefe des Meeres ergriffen, um mich nach oben zu reißen. Japsend riss ich die Augen und sah, wie jemand vor mir zurückschreckte. Die Hand, die mich gerade noch fest umklammert gehalten hatte, schob sich hastig die vor Schreck verrutschte Nickelbrille auf der Nase zurecht.
» Wow , dass Du es tatsächlich schaffen könntest, mich zu erschrecken, hätte ich nicht gedacht! Meine Hochachtung! Vielleicht bist Du ja doch nicht so langweilig, wie ich gedacht habe. Es ist nur allzu schade, dass heute mein letzter Tag ist. Nachdem ich Euch mit meinen Blechvögelchen besucht habe, weiß man hier anscheinend nicht mehr meine Arbeit zu würdigen. Die Einzigen, die das wirklich schätzen können, seid ihr, meine Lieben.« Er sprach inzwischen mit ausgebreiteten Armen zu uns allen.
»Im Laufe der Jahre hatten wir wirklich viel Spaß miteinander und ich habe Euch immer, das müsst ihr doch zugeben, mit sehr kurzweiliger Unterhaltung versorgt. Aber bevor man mich von Euch trennt, mache ich lieber selbst den Abflug. Und damit habe ich mir auch schon mein eigenes Stichwort gegeben, hähä – Stichwort ist wirklich gut. Ich möchte, dass ihr mich so in Erinnerung behaltet, wie ihr mich über die Jahre kennengelernt habt. Wie ein Mosquito bin ich überall und nirgends und tauche immer dann auf, wenn es keiner erwartet. Ich wünsche mir von Euch zum Abschied, dass ihr meinen Namen nie vergesst!«
Übergangslos
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