Körper-Haft (German Edition)
riss er einen verschlossenen Plastikeimer hoch und schrie völlig verzückt: »Mosquito!«
»Wisst Ihr, heute ist mein letzter Arbeitstag. Und da habe ich mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Ich war heute Morgen in der Zoohandlung und habe eine gute Tat vollbracht. Ich habe einen ganzen Eimer voll Mosquitos vor dem sicheren und grausigen Tod in einem Terrarium gerettet. Man stelle sich das nur vor. Diese armen kleinen Dinger sollten von irgendwelchen Eidechsen und Fröschen grausam gefressen werden!«
Ich stellte mir etwas ganz anderes Grausames vor. Hunderte von Mosquitos, die hungrig auf meinem Gesicht und meinen Armen herumkrabbelten. Jedes Insekt für sich ein Brunnenbohrer, der sich an meinem Lebensquell laben wollte! Und ich hatte keinerlei Chance, mich dagegen zu wehren! Nach wie vor einbetoniert in meinen Körper, zur Regungslosigkeit verdammt!
Warten – Fühlen – Landung – Stich! Allein beim Gedanken daran kitzelte, krabbelte, stach und brannte es. Ein panischer Blick auf meinen Bildschirm zeigte mir, dass er den Notruf deaktiviert hatte. Inzwischen hatte ich gelernt, dass er grau unterlegt war, wenn er auf inaktiv geschaltet war. Und auch das Fitnessprogramm ließ sich nicht aufrufen. Die Mosquitos durch das Bewegen des Bettes wenigstens wie die Fliegen damals für eine Weile abzuhalten, war also ebenfalls keine Option. Es hätte mir wenigstens das Gefühl gegeben, etwas zu tun. Nicht nur völlig hilflos und ausgeliefert daliegen, bis sich das letzte Mosquito gesättigt zurücklehnte, um sich mit seinen Vorderbeinen genüsslich den blutigen Rüssel abzuputzen.
Unser Peiniger hatte diese Gegenwehr vermutlich schon vorausgesehen und das Fitnessprogramm deaktiviert. Was sollte ich tun? Mich auf meine Zwischenebene zurückziehen und so tun, als wäre nichts geschehen? Währenddessen würde mein Körper daliegen, wie ein All-Inclusive-Festbankett für Mosquitos …
Der Monolog von Mosquito brandete wieder in meinen Ohren. Er beschrieb genussvoll weiter, was uns erwarten würde und verkaufte es so, als wolle er uns damit etwas Gutes tun.
»… ich wollte etwas, das unter die Haut geht, hihi, das ist gut!« Er rieb sich begeistert die Hände. »Etwas was meinen Namen sozusagen in Euer Hirn brennt und in die Haut tätowiert. Und was gäbe es da Besseres, als ein paar gute Freunde mitzubringen. Blutsverwandte sozusagen, hähä.«
Er zog schmatzend seine langen Gummihandschuhe über die Ärmel seines Pflegerkittels und band am hinteren Ende Klettbänder darum. Vermutlich wollte er sichergehen, dass sich keiner seiner Freunde zu ihm verirrte. Seine Hose stopfte er in die Socken, um auch hier den Zugang zu versperren. Dann holte er aus seinem Servicewägelchen einen Imkerhut, dessen feinmaschiges Netz bis über seine Schultern floss. Sorgfältig prüfte er noch einmal den Sitz seines Equipments und strahlte uns dann an, wie ein kleiner Junge, der auf den Weihnachtsmann wartete.
»Also, ich wär’ soweit! Wie sieht’s mit Euch aus? Seid ihr bereit? Wenn ich hier schon den Abflug machen muss, dann doch bitte mit Stil!«
Ich konnte meine eigene Angst und die der drei anderen geradezu als eine eigenständige Präsenz im Raum fühlen. So fühlte sich vermutlich eine Maus, die sich zur Fütterung einer Vogelspinne verängstigt ins gegenüberliegende Eck des Insektariums verzogen hatte, dann aber feststellen musste, dass es keinen Ausweg gab.
Mosquito fingerte am Deckel des großen Plastikeimers herum, riss ihn auf und hielt ihn, ihn wie einen Cowboyhut schwenkend, der Decke entgegen. »Es geht los«, schrie er voller Verzückung. Der erste schwarze Schwarm erhob sich und das Sirren tausender kleiner Flügel machte mich wahnsinnig. »Es ist angerichtet!«, dachte ich in einem Anflug von Selbstironie.
Er zog mit der behandschuhten Hand durch den Plastikeimer und wirbelte sie hoch, als würde er Konfettis hinaufschleudern und schrie immer wieder »Mosquito! – Mosquito!« Es gab kein zurück! Von jetzt an waren wir hilflos kleinen fliegenden Piranhas ausgeliefert!
Bannkreis
Ich fragte mich, wie viele Mosquitos mich bisher in meinem Leben schon gebissen hatten. Wenn ich alle Mosquitobisse meines Lebens zusammenzählte und mit dreißig multipliziere, reichte das dann für die kommenden Stunden aus? Ich versuchte mich zu beruhigen, meinen Atem und meinen Puls so tief wie möglich zu halten. Was brachte es, in Panik zu verfallen? Selbstironisch dachte ich: »Ein toller Test, Stoizismus zu
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