Körper-Haft (German Edition)
und mich sammeln sollte. Welches Ich war das Richtige? Das Ich in der Vergangenheit, in meiner Zelle oder auf der Zwischenebene?« Ich wusste es nicht! Aber das Ich , das sich auf der Zwischenebene befand, schien mir zumindest das zu sein, welches am besten mit der Situation zurechtkam. Auf dem Rücken liegend und schwer atmend, lag ich im grünen Gras und das Summen um mich herum beruhigte mich nach und nach.
Was für eine Chance tat sich hier für mich auf? Zeitreisen, gepaart mit einer außerkörperlichen Erfahrung oder einfach nur ein weiteres weit geöffnetes Tor zum Wahnsinn?
Ich beschloss, vorsichtiger zu sein. Deutlich vorsichtiger, was die Wahl des Ortes und vor allen Dingen auch der Zeit anbelangte. Zu gerne wäre ich an den Tag und Ort von Sunnys Tod zurückgegangen, um ihn zu retten oder endgültig Gewissheit über seinen Mörder zu erlangen, aber ich traute mich nicht. Ich hatte nicht einmal den Sprung in den Gerichtsaal richtig im Griff – wie sollte ich dann auch noch die »Vergangenheit« zurechtbiegen? Es gab zu viele Ungereimtheiten und Risiken. Irgendwie musste es doch auch eine andere Lösung dafür geben, Licht ins Dunkel zu bringen …
Bildschirmschoner
… also musste ich einen anderen Weg finden und vielleicht auch ganz woanders mit der Suche nach Beweisen beginnen. Die Tage darauf verbrachte ich fast ausschließlich auf meiner Zwischenebene und grübelte, wie ich vorgehen sollte. Schließlich hatte ich eine Idee, wie, wo, und vor allem wann ich anfangen sollte. Mitten in meiner alten Agentur im Treppenhaus …
Genau genommen hatte ich ja schon lange einen hartnäckigen Verdacht, wer Sunny auf dem Gewissen und mich in diese Lage gebracht hatte. Mike! Das Treppenhaus der Agentur schien mir der ideale Platz zu sein, mit niemandem zu kollidierten.
Ich hatte mir in Gedanken eine kleine Nische ausgesucht und dachte intensiv an das aktuelle Datum. Im nächsten Moment war ich dort, wie erhofft lag das Treppenhaus schweigend vor mir.
Ich ging andächtig die beiden Stockwerke zum Loft der Agentur hoch. Dort, wo wir unsere Büros untergebracht hatten. Leises Stimmgemurmel, wie in einer Kathedrale oder Bibliothek, hallte im oberen Treppenhaus entgegen. Vor der Eingangstür angekommen, zögerte ich einen Augenblick. Wenn ich einfach durch die Tür hindurchgehen würde, bestand die Gefahr, dass ich mit jemandem zusammenstoßen könnte. Wovor ich am meisten Angst hatte, war eine Kollision mit Mike!
Allein der Gedanke daran füllte meinen Körper mit Ekel an. Es schüttelte mich regelrecht. Welche Gedanken würden auf mich einstürmen, wenn ich ihm versehentlich zu nahe kam? Und was würde er von mir erfahren? Dass ich ihm auf die Schliche kommen und Beweismaterial finden wollte? Das wäre für mich der Super-GAU, denn damit hätte er die Möglichkeit, vielleicht noch existierendes Beweismaterial zu vernichten.
Ich holte tief Atem – der eigentlich auch nur virtuell war – und ging mit offenen Augen durch die Tür hindurch. Zuerst sah ich den weißen Lack der Tür, der einen Hauch später von Holzfasern abgelöst wurde, dann ein kurzes Stück Luft, wo die Füllung der Tür nicht aufgefüttert war, dann wieder Holzfasern, Lack und … der Flur der Agentur mit dem Empfangsbereich. Ich steckte mein Gesicht nur ein kleines Stück aus der Oberfläche der Tür heraus, sodass ich im Falle einer drohenden Kollision sofort wieder im Treppenhaus gewesen wäre. An der Rezeption saß eine junge Frau, die ich nicht kannte. Hinter ihr, an der Wand, stand in großen Grotesk-Lettern:
Der gesamte Schriftzug war vom ersten bis zum letzten Buchstaben mit einem Bogen überspannt, der einen Schirm symbolisierte. Genau durch den Bindestrich hindurch verlief der Schirmstock. An der unteren Biegung des Schirmstocks stand: »Wir bringen Ihre Schäfchen ins Trockene.« Der Schirmstock, kombiniert mit den Bindestrichen, sah für mich wie das Kreuz eines Grabes aus.
Irritiert schüttelte ich den Kopf. An dieser Stelle an der Wand hatte immer RegenSchirmer – Film- und Eventagentur gestanden! War die Agentur inzwischen verkauft worden?
Im nächsten Moment dämmerte mir, dass Mike ein gottserbärmlicher Fan von Anglizismen war und alles mit Gewalt versuchte Englisch auszusprechen. Auch zu mir sagte er immer sehr gedehnt und als hätte er einen Kaugummi im Mund … »Frääänk old friend!«
Umbrella-Marketing, das musste auf seinem Mist gewachsen sein! Er hatte die Agentur vermutlich umbenannt, um den Schnitt des
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