Körper-Haft (German Edition)
tote Insekten um uns herum und ich fragte den Priester, was es damit auf sich hat. Er hatte mich angelächelt und gesagt, dass Buddha seine Hand über uns hält.«
Er fröstelte erneut und steckte mich damit regelrecht an. »Dann hat er noch gesagt, dass die toten Insekten um uns herum unsere eigene Vergänglichkeit zeigen. Im Leben ist man immer umgeben vom Tod. Sei es eine welke Blume, das fallende Laub oder das Stück gebratenes Fleisch, das vor uns auf dem Teller liegt. Die Vergänglichkeit macht das Leben erst möglich und kostbar zugleich. Während wir umgeben sind von Tod, befinden wir uns im Zentrum unseres eigenen Lebens und unserer eigenen Vergänglichkeit. Mit jedem Tag, den wir leben, bewegen wir uns auf unsere eigene Vergänglichkeit zu. Und das ist gut so, denn nur durch den Tod entsteht etwas Neues. Der Priester meinte auch, dass selbst die einfachen Lebewesen wie Mosquitos wissen, wann ihre Zeit gekommen ist und sich an einen Ort begeben, an dem sie ein gutes Karma für das nächste Leben mit auf den Weg bekommen.«
Ich malte mir aus, wie Bia und die anderen Thais im Tempel schlafend in der Morgendämmerung lagen, umgeben von hunderten von toten Insekten. Ich wusste nicht, ob er mit seiner Geschichte übertrieben hatte. Aber sie bescherte mir eine Gänsehaut, die mehrere Minuten anhielt.
Die Erinnerung an diese Geschichte tröstete mich und ich stellte mir vor, wie ich und meine Zellengenossen in unseren Betten lagen. Und ich sah vor meinem geistigen Auge, wie die Mosquitos aus der Luft tot auf den Boden trudelten. Andere erstarrten mitten im Blutsaugen, blieben regungslos sitzen oder fielen einfach um. Erlöst von Ihrem blutrünstigen Dasein. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf dieses friedliche Sterben. In meiner Vorstellung zog ich eine Art Bannkreis um uns herum …
Glücklich strahlte ich in mich hinein. Es gab keine Mosquitos mehr, die uns peinigen konnten. Kein einziger war noch am Leben. Alles war gut! Wir hatten unseren Frieden! Eine tiefe Ruhe, die schon beinahe etwas Feierliches an sich hatte, umgab uns. All die Angst und der Schrecken, der mich vor Kurzem noch befallen hatte, hatten sich aufgelöst wie der Morgennebel unter einer erstarkenden Sonne.
Ich wusste nicht, wie lange ich auf der Zwischenebene meditiert hatte, als ich erneut ein Ziehen an meinem Arm spürte. Es war kein grobes Reißen und Zerren, es war behutsam und fühlte sich irgendwie … besorgt an.
»Herr Schirmer? Herr Schirmer, geht es Ihnen gut?« Die Stimme hörte sich nicht nur besorgt, sondern geradezu ängstlich an. »Herr Schirmer? Wenn Sie mich hören können, machen Sie bitte die Augen auf.« Die Stimme hörte sich seltsam vertraut an. Ich hatte den Eindruck, ihr vertrauen zu können. Ich tauchte wie aus einem langen Dämmerschlaf auf. So war ich noch nie von der Zwischenebene heimgekehrt. Meine Augen öffneten sich langsam blinzelnd und ich sah in ein Gesicht. Brötchen! Er stand über mich gebeugt und hatte einen völlig geschockten Gesichtsausdruck. »Herr Schirmer, ich bin so froh, dass es Ihnen gut geht. Etwas Schreckliches ist passiert! Die Polizei ist bereits auf dem Weg hierher.«
Von der Ferne hörte ich schnelle Schritte über den Gang eilen, bis sie in der offen stehenden Tür endeten und Doktor Gregor hereintrugen.
»Mein Gott, was ist denn hier passiert?«
Brötchen schluckte und sagte sichtlich um Fassung bemüht: »Mosquito ist tot!«
Ich traute meinen Ohren nicht. Doktor Gregor hatte sich bereits vor meinem Bett auf den Boden gekniet, sodass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Aber die Stimme am Fußende meines Bettes sagte: »Ja, er ist wohl schon eine ganze Weile tot! Die Leichenstarre hat bereits eingesetzt. Wie konnte das passieren? Und was um alles in der Welt machen all die toten Mosquitos um ihn herum?!«
Es wurde mir heiß und kalt! Mosquito war tot?! Träumte ich oder war ich wach? Das musste ein schlechter Scherz meiner eigenen Phantasie sein! Er konnte doch nicht einfach so tot sein? Hatte ich etwa etwas damit zu tun?
»Und was um alles in der Welt machen all die toten Mosquitos um ihn herum?!«, echote die Frage von Doktor Gregor in meinem Kopf herum. Konnte es tatsächlich sein, dass … – ausgeschlossen! Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden umbringen wollen! Das schlechte Gewissen schnürte mir die Brust zusammen und quetschte mein Herz wie eine Zitrone. Aber das schlechte Gewissen brachte oft auch Unschuldige in Bedrängnis, das wusste ich nur zu gut! Damals in
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