Körper-Haft (German Edition)
schwarzer Kombi mit geätzten Palmwedeln auf den hinteren Seitenfenstern entgegenkam.
»Aasgeier«, dachte ich noch. »Haben mal wieder den Polizeifunk abgehört!« Ich dachte an Sunny und daran, dass mein bester Freund noch in dieser Nacht in einer großen gekühlten Schublade verschwinden sollte. Mir wurde übel, um mich herum wurde es schwarz.
Als ich wieder zu mir kam, hatte ich einen beißenden Geruch in der Nase und mein Gesicht lag in einer kalten, klebrigen Masse.
»Zuerst den Kollegen meucheln und uns dann die Karre vollkotzen! Das liebe ich!« Die Stimme kam von einem der Polizisten. Die beiden fluchten noch eine Weile herum, bevor sie mich in eine Zelle verfrachteten. Frierend und nicht nur vom Schüttelfrost heftig bewegt, saß ich zusammengekauert auf meiner Pritsche und wippte die ganze Nacht hindurch mit dem Kopf, bis ich am nächsten Tag dem Haftrichter vorgeführt wurde. Dass ich einen Schock haben könnte, daran hatte wohl niemand gedacht. Schließlich war ich in ihren Augen auf frischer Tat ertappt worden …
Die Menschen sehen nur das, was sie sehen wollen. Sie glauben das zu sehen, was am meisten Sinn für sie gibt! Es ist wie bei der Zauberei: Sie sehen das, was sie glauben zu sehen, und glauben dann, was sie sehen.
Ich dachte an Sunny, wie er als Kind im Magic Cube das Theatermesser aus seinem Oberschenkel gezogen hatte und sagte: »Du solltest nicht immer glauben, was Du siehst!«
»Das hättest Du den Polizisten erzählen sollen!«, dachte ich. Dann fiel mir Ronald, sein Vater, ein, wie er sagte: »Aber manchmal ist es besser zu glauben, was Du siehst!« An diesen Leitsatz schienen er und Nancy sich auch nach dem Tod von Sunny zu halten, denn Sie glaubten mir kein Wort mehr.
Ich hatte von heute auf morgen nicht nur Sunny, sondern auch noch meine Ersatzeltern verloren. Und ich hatte sie nicht nur verloren, sondern wusste auch, als sie mich im Gerichtssaal anstarrten, dass sie mich von der Tiefe ihres Herzens verabscheuten und hassten. Ich musste meinen Blick senken, was für sie vermutlich nur als weiteres Schuldeingeständnis interpretiert wurde. Ich hatte immer geglaubt, ich hätte ein stabiles soziales Netz geschaffen, das mich in schlechten Zeiten auffangen könnte. Doch die eng geglaubten Maschen dieses Netzes wurden so weit auseinandergezogen, dass mich nichts mehr vor dem freien Fall bewahren konnte. Selbst Tanja zog sich schlagartig zurück, vermittelte mir aber immerhin nach einem völlig verstörenden Gespräch meinen Strafverteidiger – Thomas Heide. Und dieser begann unser erstes Gespräch mit: »Angenommen, Du bist unschuldig …«
Keine Freunde, der beste davon tot und niemand der einem auch nur noch einen angefangenen Halbsatz glaubte. Es war ein leichtes Spiel gegen mich. Völlig traumatisiert wurde ich durch die Verhandlung geschubst und verurteilt. Hinzu kamen noch die Presse und die restlichen Medien, für die der Fall ein gefundenes Fressen war. An mir, dem Regenschirm-Mörder, konnte man sich monatelang nähren und mich immer wieder von neuem ausweiden. Mit jeder neuen Schlagzeile über mich konnte man ein neues Auflagenwunder und traumhafte Einschaltquoten kreieren.
Ich hatte niemanden mehr, mit dem ich reden konnte, am Schluss wollte ich auch selbst mit keiner Menschenseele mehr sprechen. Kein Wunder, dass mich mein Anwalt zur Teilnahme am BSS-Programm überreden konnte. Da konnte und musste ich mit niemanden mehr reden … nur daliegen und an die Decke starren!
Stockholm
Wenn ich es mir recht überlege, hatten mich diese Tiefschläge wirklich auf das eingedampft, was ich war. Ein Bündel Gedanken, das einen Körper herumwuchten muss! Auf dem gefühlten Tiefpunkt hatte ich durch BSS auch noch die Beweglichkeit meines Körpers eingebüßt.
Wäre ich tatsächlich nur noch ein Bündel Gedanken gewesen und hätte alle Körperlichkeit hinter mir gelassen, dann wäre ich vielleicht davongetrieben und hätte mich irgendwann in Wohlgefallen aufgelöst. Aber ich hatte noch einen Körper, der – wenngleich bewegungsunfähig – mit allen Möglichkeiten der Empfindung ausgestattet war. Und daran wurde ich von Mosquito regelmäßig erinnert. Zumindest was Schmerz anbelangte.
Vielleicht muss ich ihm in gewisser Weise dankbar für seine sadistischen Spiele sein. Denn durch die Angst, die Demütigungen und die körperlichen Verletzungen war etwas wieder in mir aufgeflammt, das ich verloren geglaubt hatte: Der Wille zu kämpfen und zu überleben!
Vielleicht war es das,
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