Körper-Haft (German Edition)
die Gerberstraße 3, in die Agentur Regen/Schirmer, 3. Stock, im Loft des alten Gerbereigebäudes. Die Türen sind offen. Beeilen Sie sich, mein Partner stirbt! Es geht um Leben und Tod!«
Als er wieder irgendwelches schnodderiges Zeugs daherquatsche, legte ich wutschnaubend auf und rief die Polizei an. Und wiederholte mein Sätzchen mal für mal und hoffte darauf, dass der Aktionismus endlich über den Bürokratismus siegen würde und legte irgendwann völlig resigniert auf.
Ich versuchte abermals, den Schirm aus Sunnys Hals zu ziehen. Vergebens! Ein feuchter Fleck hatte sich auf Sunnys Hose zwischen seinen Beinen gebildet, ein dicker, zäher, blutiger Speichelfaden hing aus seinem Mund. Ich fiel neben ihm auf die Knie.
»Verdammt noch mal, Sunny! Dieser Scheißtrick! Wer hätte es bemerkt, wenn diese Schirmschluck-Arie gefehlt hätte? Das Original im Film war ohnehin besser …«
Die Tränen rannen mir heiß über die Wangen, als hätte irgendjemand den Hahn dafür aufgedreht. Von meiner eigenen Unfähigkeit, ihm nicht helfen zu können, angeekelt, kniete ich zitternd neben ihm und machte mir schwere Vorwürfe, dass ich ihm diesen verdammten Trick nicht ausgeredet hatte.
Ich wusste nicht, wie lange ich schon wie ein Häufchen Elend neben Sunny gesessen hatte, als ich hörte, wie jemand die Treppe hochkam.
Ich geriet in Panik: »Die Polizei! Was, wenn die meine Fingerabdrücke an dem Schirm finden?« Ich zog den Ärmel meines Hemdes über die Hand und wischte damit den Schaft des Schirmes ab. Als ich wieder aufsah, stand Natalie, unsere französische Praktikantin, in der Tür und hielt sich die Hand vor den schreckgeweiteten Mund.
Ich schaute ihr in die Augen und ich wusste, in welcher Sprache sie auch immer gerade dachte, war es: »Er hat Sunny umgebracht!« Mit einem schrillen Schrei drehte sie sich um und rannte auf den Flur »Aiiiiihhhhh!« Ich stützte hinterher »Natalie … Natalie, bitte warte …«
Ich lief der Polizei und den Rettungssanitätern, die kurz hintereinander hereinkamen, direkt in die Arme.
»Er ‘at inn getötet … Er ‘at inn getötet!«, wiederholte sie hysterisch immer wieder.
»Schnell, kommen Sie!«, sagte ich zu dem Notarzt und zerrte ihn am Arm. »Beeilen Sie sich, mein Freund hat einen Schirm verschluckt!«
»Er hat was?! Ich hab‘ ja schon einiges erlebt, von der Colaflasche im Arsch, auf die sich jemand natürlich rein zufällig gesetzt hat, bis …«
»Quatschen Sie nicht rum, kommen Sie mit!«, unterbrach ich und zog den Sanitäter grob am Arm ins Besprechungszimmer.
»Ach Du meine Fresse!«, schien das Einzige zu sein, was ihm noch einfiel.
»Los helfen sie ihm!«, schrie ich ihn an. Irgendjemand löste mit kräftigen Fingern meine Hände vom Arm des Sanitäters und bugsierte mich hinaus, vorbei an Mike, der plötzlich mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen in der Tür stand.
Wo waren die bloß alle die ganze Zeit über gewesen? Aus der Grafikabteilung hörte ich immer noch Natalies Schluchzen. »Er ‘at inn getötet … Er ‘at inn getötet!«
Mord!
Der Anklagepunkt war einfach und prägnant – Mord aus niedrigen Beweggründen. Eine unserer Vertragsklauseln lautete: Wenn ein oder mehrere Partner aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen die Agentur verlassen, treten diese ihre Rechte an die übrigen Partner ab. Der Anteilswert wird von einem unabhängigen Gutachter geschätzt und an die ausgeschiedenen Partner oder deren Erben ausgezahlt. Man musste nicht Sherlock Holmes heißen, um zu wissen, wie dies ausgelegt wurde. Hinzu kam noch Natalie, die mich gesehen hatte, wie ich dabei war, meine Spuren zu verwischen …
Noch während der Notarzt versuchte, Sunny wieder ins Leben zu holen, war meines, wie es aussah, ebenfalls vorbei. Meine Arme wurden grob von zwei Polizisten auf den Rücken gedreht und etwas Kaltes, Metallenes schloss sich klickend um meine Handgelenke. Im Hinausgehen sah ich gerade noch, wie der Arzt einen Luftröhrenschnitt versuchte. Das kratzende Geräusch des Skalpells, das über den Schaft des Schirmes im Hals von Sunny scheuerte, ging mir durch Mark und Bein. Fast wie ein Fingernagel, der über eine Tafel kratzt. Im Treppenhaus kam mir schon ein Polizist mit schwarz-gelbem Plastikband entgegen, vermutlich um den Tatort abzuriegeln und die Agentur zu versiegeln.
Kurz darauf saß ich zusammengesackt im Fond des Polizeiautos. Von der Gerberstraße aus waren wir noch nicht einmal auf die Hauptstraße gelangt, als uns ein langer,
Weitere Kostenlose Bücher