Körper-Haft (German Edition)
möchte, dann müssen wir ihm eben zeigen, dass wir dazu in der Lage sind, einen solchen zu veranstalten.
Sunny übte jetzt jedoch völlig alleine in dem großen Saal. Er war ein absoluter Perfektionist. Dies war sicherlich auch der Grund, weswegen er nicht selbst sang, obwohl er es gar nicht so schlecht konnte. Aber seine Sangeskünste wurden seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. So kam der Gesang zusammen mit der Musik direkt vom Computer und er übte sich im Playback.
Dafür hatte er den Tanz, das Steppen und die Mimik umso besser einstudiert. Um sich selbst zu kontrollieren, hatte er wie immer drei Stative mit digitalen Kameras aufgestellt, die mit Bewegungssensoren ausgestattet waren und ihm so optisch folgten. Er prüfte nach einem Übungslauf immer alle drei Einstellungen, um ihm nächsten Lauf die kleinen Fehler auszumerzen. Diesbezüglich konnte er geradezu pedantisch sein.
All das, was furchtbar schwer zu erlernen war, musste so leicht und elegant aussehen, als würde er den ganzen Tag nichts anderes tun, als übers Parkett zu gleiten.
»I´m singin in the rain«, schallte es durch die Agentur. Ich saß in meinem Büro und die Musik ließ mich all meine Tagessorgen abschütteln. Ich grinste bei diesem Gute-Laune-Lied förmlich in mich hinein, der morgige Tag würde ein echter Erfolg werden. Der Regen prasselte beruhigend ans Fenster und bildete den idealen Zaungast für Sunnys Generalprobe.
I’m singing in the rain
Just singin’ in the rain
What a glorious feeling
I’m happy again
I’m laughing at clouds
So dark up above
The sun’s in my heart
And I’m ready for love
Let the stormy clouds chase
Everyone from the place
Come on with the rain
I’ve a smile on my face
I walk down the lane
With a happy refrain
Just singin’, singin’ in the rain
Dancing in the rain
I’m happy again
I’m singin’ and dancing in the rain
I’m dancing and singin’ in the rain
Vor meinem geistigen Auge saß ich wieder als Kind gemeinsam mit Sunny vor dem Fernseher und wir sahen den Film aus Ronalds Filmkiste gemeinsam an. In den letzten beiden Textzeilen wird Gene Kelly bewusst, dass er von einem Streifenpolizisten beobachtet wird, zieht entschuldigend das Genick ein und singt deutlich leiser I’m dancing and singin in the rain . Dann klappt er seinen Schirm zusammen, läuft durch den Regen davon und gibt einem unbeschirmten Passanten den zusammengeklappten Schirm, den dieser sofort aufspannt.
Genau in diesem Part wollte Sunny den Schirm schlucken, wieder herausziehen und abschließend zurück in die Halterung des Kinderwagens stecken. Tanja sollte den Mechanismus drücken, damit der Schirm aufpoppt. Doodle doo-doo, doodle-doodle-doo-doo klang der Schlusspart aus, als irgendetwas im Konferenzraum auf den Boden krachte.
»Sunny?«, fragte ich besorgt. »Sunny, ist alles in Ordnung? Als ich keine Antwort erhielt, sprang ich auf und rannte zum Konferenzraum hinüber. »Sunny?«
»Arrghhh!« Sunny kniete auf dem Boden, den Kopf in den Nacken geworfen. Der Schirm steckte in seinem Hals und ließ so keine andere Haltung zu.
Ich stand über ihm und er schaute mich mit einem Blick an, der sagen wollte: »Tut mir leid mein Freund, Du hattest recht …« Dann blinzelte er mir theatralisch mit einem Auge zu. »Keh, kehhh«, keuchte er. Panik trat in seine Augen. Seine Pupillen weiteten sich, ein dicker Film von Tränen machte seine Augen glasig. Er versuchte sich den Schirm aus dem Hals zu ziehen und gleichzeitig an den Knopf der Mechanik zu gelangen, der aber zu weit in seiner Kehle steckte. Grausamerweise lief die Musik immer noch, jetzt aber als Soundtrack zum Todeskampf, den Sunny ausstehen musste. Die Textzeilen hingen in der Luft, als hätte man sie mit den schweren Nägeln des Zynismus in den Raum genagelt:
What a glorious feeling
I’m happy again
I’m laughing at clouds
So dark up above
The sun’s in my heart
And I’m ready for love
Let the stormy clouds chase
Ich hatte die ganze Zeit wie paralysiert dagestanden. Wie ein Zuschauer, der einen grausigen Kinotrailer sieht, bei dem er nicht eingreifen, sondern nur ungläubig den Mund aufmachen und schreien kann. »Sunny, verdammt Sunny! Hilfe! Ist denn niemand da?!« Es kam keine Antwort.
Erst jetzt kamen meine Glieder mechanisch zuckend, wie die einer Marionette, in Bewegung. Ich hatte keinerlei Ahnung, wo ich anpacken sollte, ohne ihn zu verletzen. Ich griff nach dem Schaft des Schirmes und zog vorsichtig daran. Die Kameras, die Sunny aufgestellt
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