Koerper, Seele, Mensch
Bauchhöhle stellte sich heraus, daß sich dieser vermeintliche Routineeingriff zu einem größeren Problem auswachsen würde. Die ganze Region war chronisch entzündet und verwachsen und die Anatomie nur noch zu ahnen, und darüber hinaus fanden sich auch noch Gallensteine nicht nur in der Gallenblase, sondern auch im Gallengang, womit ich bis dahin lediglich als OP-Assistent, nicht aber als Operateur zu tun gehabt hatte. Mein OP-Assistent, einer der erfahrensten Oberärzte der Klinik, wollte jedoch nicht den Platz mit mir tauschen, sondern ließ mich diesen schwierigen Eingriff zu Ende führen. Alles ging gut! Ich blieb immerin der richtigen Schicht, es kam zu keinen besonderen Blutungen und auch zu keinen anderen Verzögerungen oder Zwischenfällen. Die Gallengangsteine entfernte ich beim ersten Versuch, meine OP-Zeit konnte sich sehen lassen. Sicherlich war ich einer der besten Chirurgen weit und breit! Da sagte mein Oberarzt: »Das haben Sie zwar sehr gut gemacht. Aber heben Sie bloß nicht ab: Das bringe ich jedem Pförtner bei, wenn er nicht zwei linke Hände hat«, und verließ den OP.
Ich fühlte mich wie ein begossener Pudel. Als ich nach einiger Zeit nicht mehr ganz so gekränkt war, verstand ich mehr und mehr, was er mit dieser Bemerkung gemeint haben konnte. Was war das, ein guter Chirurg? Nun war ich schon so viele Jahre in diesem Metier tätig und wußte es immer noch nicht. Klar war mir allerdings schon damals, daß ich nicht der Chirurg geworden war, der ich eigentlich hatte werden wollen.
Sich nach einer solchen Ausbildung mit der Kommunikation zwischen Arzt und Patient beschäftigen zu wollen und dabei zu entdecken, daß man in neue Bereiche vorstoßen muß, die das mechanistische, dualistische Menschenbild nicht kennt, ist schwer. Aber je länger ich meinen Beruf ausübte, je mehr Erfahrung ich während meiner ärztlichen Tätigkeit mit dem Gelingen ebenso wie mit dem Scheitern sammelte, desto deutlicher wurde das Gefühl, das ich noch aus der Zeit meines Medizinstudiums kannte, während der harten und kompromißlosen Ausbildung zum Chirurgen aber fast schon vergessen hatte: Irgend etwas stimmte mit diesem Modell vom Menschen als einer Maschine nicht.
Es störte mich außerdem, daß dieses Maschinenmodell,wenn man es konsequent anwandte, ja nicht nur den Patienten, sondern ebenso den Arzt betraf. Zufällig entdeckte ich auf einer Reise in einer Ausstellungshalle in England eine Illustration dieses Problems, die mich nachhaltig beeindruckte. Der Londoner Aktionskünstler Tim Hunkin stellte dort eine Doktor-Maschine aus.
Auf dem Schild unter diesem Automaten stand geschrieben:
»INSTRUCTIONS
place 20 pennies in slot,
hold stethoscope against chest,
wait for diagnosis,
collect prescription below«
Hunkin nannte seinen Automaten von 1987 schlicht DOCTOR und fügte als weitere mögliche Gebrauchsanweisung noch hinzu: »Halten Sie das Stethoskop an Ihren Magen, und Sie hören fremdartige, glucksende, gurgelnde Geräusche. Der Arzt hört zu. Wenn er zu einer Meinung gekommen ist, nickt er und schreibt ein Rezept aus. Das Rezept kommt aus der Maschine (völlig unleserlich, wie alle Rezepte).« Dieser Automat ist zwar einerseits witzig, aber er illustriert das Problem des Denkmodells ›Mensch als Maschine‹ auch in seiner ganzen ernsten Tragweite.
Natürlich hatte ich bei der Patientenbehandlung immer wieder mit mechanischen Problemen zu tun, die ich mit Hilfe von Werkzeugen und Maschinen, von Technik und Ersatzteilen lösen konnte. Das hatte ich schließlich gelernt. Aber warum gelang es das eine Mal, ein anderes Mal nicht? Gab es noch etwas anderes als Ursache und Wirkung? Oder existierten Ursachen, die mir bislang verborgen geblieben waren und die hinter meinem und hinter dem Rücken meiner Patienten ihre Wirkungen entfalteten? Mehr und mehr begann ich nach anderen Modellen zu suchen, um meine Arbeit besser zu verstehen.
4. Ist der Mensch eine Maschine oder eine Black Box?
Konstruktivismus, Biosemiotik und Systemtheorie
Bei meiner Suche nach einem neuen, besseren Modell stieß ich eines Tages auf einen ganz einfachen Satz, den einer der großen deutschen Ärzte des 20. Jahrhunderts, Thure von Uexküll, einmal gesagt hatte: »Die Medizin ist streng getrennt in eine ›Medizin für Körper ohne Seelen‹ und eine ›Medizin für Seelen ohne Körper‹.« Als ich diesen Satz zum erstenmal hörte, hatte ich sofort das Gefühl, daß damit das ganze Unbehagen aus meinem Studium und meiner
Weitere Kostenlose Bücher