Koerper, Seele, Mensch
die aus einzelnen Subsystemen bestehen. Hier kommt der dritte Teil der Theorie der Integrierten Medizin zum Zug, die Systemtheorie.
Mit ihrer Hilfe konnte man erkennen, daß so komplexe Erscheinungen wie Lebewesen über Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen, die sich nicht oder nicht vollständig aus den Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Komponenten des Systems (griechisch: Zusammenstellung) erklären lassen. Die Systemtheorie, die sich erst in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hat, sucht die Verbindung oder Vernetzung der Komponenten eines Systems zu verstehen, die die Leistungen des ›Systems Lebewesen‹ erst ermöglicht. Das Denken in Netzwerken, in Wirkungskreisen, in kybernetischen Abläufen mit Rückkoppelungen und Vorgängen des Sich-Selbst-Erschaffens (Autopoiese) ist das Denken, das man systemisch nennt. Mit Autopoiese bezeichnet man die Tatsache, daß Organismen bzw. biologische Systeme zum einen ihre Grenze zur Außenwelt und zum anderen ihre inneren Komponenten selbst produzieren können. Dabei stellt sich immer ein Kreisablauf her: Der Organismus produziert seine Grenze. Die Grenze ist es jedoch, die den Organismus von seiner Außenwelt abtrennt und ihn somit erst als etwas von der Umwelt Verschiedenes definiert.
In der Integrierten Medizin verwendet man auch den Begriff der Subsysteme – Untersysteme, die in hierarchischer Folge, gleichzeitig aber auch nebeneinander angeordnet sind. In unserem Zusammenhang wären das zum Beispiel die Zellorganellen, die sich zueinander wie Subsystemeverhalten, aber ebenso mit der nächsthöheren Ebene, den Zellen, eine wie auch immer geartete Kommunikation führen können. Genauso funktioniert es mit den weiteren Ebenen: den Organen, dem Organismus, der Lebensgemeinschaft, der Gesellschaft, der Welt, dem Universum. Diese Subsysteme müssen nicht nur beständig miteinander kommunizieren, also Bedeutungen über Zeichen austauschen – und zwar in alle Richtungen, zur Seite, nach oben und nach unten –, sondern sie müssen dabei auch einen gewissen Erfolg haben, um zu überleben. Ihre Zeichen sollen von den anderen Subsystemen verstanden werden, so daß auf allen Ebenen eine Passung möglich ist.
Für das Überleben kann es wichtig sein, daß innerhalb eines Systems Bedeutungs- und Hierarchieveränderungen stattfinden, ob langsam oder schlagartig. Wenn zum Beispiel ein Kreislaufschock eintritt, heißt das nichts anderes, als daß nur noch die absolut lebensnotwendigen Organsysteme ausreichend durchblutet werden (Zentralisierung), um den Gesamtorganismus am Leben zu erhalten, während die Peripherie abgeschaltet wird. Dieses ›Abschalten‹ ist das Ergebnis rasanter und komplexer Kommunikationsprozesse zwischen vielen verschiedenen Subsystemen des Lebewesens, die wirklich zu verstehen noch lange nicht gelungen ist.
Semiotik, Konstruktivismus und Systemtheorie gehören eng zusammen. Man kann sagen, daß sie wiederum ein neues System generieren, das mehr vermag und mehr bedeutet als jede einzelne dieser Komponenten für sich genommen. Dieses System ist das Modell der »Integrierten Medizin«, das der zu Beginn dieses Kapitels bereits erwähnteThure von Uexküll entwickelt hat. Sein Ziel war es allerdings nicht, aus der Verknüpfung der drei Elemente neue Krankheiten zu bestimmen oder Behandlungen zu entwickeln, sondern eine ganz neue Krankheitslehre zu entwerfen, die mit einer besonderen ärztlichen Haltung verbunden ist.
Das Grundelement in der Krankheitslehre der Integrierten Medizin ist der Begriff der Passung bzw. sein Gegenstück, der Begriff der Passungsstörung. Wenn die Passung die – mal mehr, mal weniger gelungene – Einheit bezeichnet, die jedes Lebewesen mit seiner Umwelt bilden muß, um zu überleben, dann befaßt sich Thure von Uexkülls Krankheitslehre folgerichtig mit den Passungsstörungen; sie beschreibt und ordnet die verschiedenen Störungsmuster, die wir Krankheiten nennen. Passungsstörungen zwischen Individuum und Umwelt, die krank machen, erkennt man daran, daß das Individuum nicht mehr im freien Spiel alle Zeichenklassen und Realitätskonzepte verwendet und daß das Zusammenspiel sowohl des Gesamtsystems und seiner Subsysteme als auch der Subsysteme untereinander gestört ist. Es kommt statt dessen zu reaktiven Schrumpfungen oder kompensatorischen Aufblähungen einzelner Zeichenklassen, Realitätskonzepte oder System-Ebenen.
Nach diesen kurzen theoretischen Überlegungen will ich zur konkreten
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