Kohärenz 02 - Hide*Out
klagenden Gesang anstimmte – und gar nicht mehr aufzuhören schien.
Die fremdartigen Worte und Melodien ließen Christopher eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Ihm war, als höre er von irgendwoher ein Echo dieses Gesangs, ein tausendstimmiges Echo, aber das bildete er sich wahrscheinlich nur ein, weil ihm plötzlich klar wurde, dass derselbe Gesang schon vor Jahrtausenden über diesen Ebenen erklungen war, mit genau diesen Worten und genau dieser Melodie. Die Echos, die er zu hören meinte, waren Echos aus ferner Vergangenheit.
Und irgendwann schien die Zeit einfach stehen zu bleiben.
Als George wieder aufstand, war keinerlei Zögern mehr in seinen Bewegungen. Er nahm den Injektor, trat vor Christopher hin und setzte das Gerät an, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan. Christopher schloss die Augen, hörte sein Herz wilde indianische Rhythmen trommeln und fühlte, wie das kalte, chemisch riechende Rohr in seine Nase glitt.
Als dessen Spitze durch seine Nasenrückwand brach, krachte es in seinem Schädel, als stürze die Welt ein.
82 | Sie erreichten Seattle.
»Endlich«, sagte Madonna.
Doch es dauerte noch eine ganze Weile, ehe sie die Columbia City Neighborhood erreichten.
»Da sind wir«, sagte Madonna.
Aber es dauerte noch einmal so lange, bis sie die Oak Wood Avenue gefunden hatten.
»Aber jetzt«, sagte Madonna.
Kyle spähte umher auf der Suche nach Hausnummern. »Einhundertvierzig«, las er endlich. »Das heißt, wir sind am falschen Ende der Straße.«
Madonna verdrehte die Augen. »Ich halt’s nicht mehr aus.«
Die Grundstücke waren riesig und sie mussten schier endlos fahren, bevor sie endlich, endlich tatsächlich vor dem Haus mit der Nummer siebzehn standen.
»Das ist es!«, rief Madonna. »Genau wie auf den Fotos!«
Kyle stieg aus, klingelte. Sie sahen, wie ihn eine Kameralinse ins Visier nahm. Dann schien sich jemand über die Gegensprechanlage zu melden, denn Kyle sagte ein paar Worte und schließlich fuhr das schneeweiße Gitter beiseite.
»Na?« Er grinste in Madonnas Richtung, als er zurück in den Wagen stieg. »Jetzt kannst du dich aber nicht mehr beklagen.«
Serenity konnte sich kaum sattsehen an dem prachtvollen Anwesen. Das war kein Haus, das war fast schon ein Schloss! Die vielen Blumen überall! Die geradezu majestätische Auffahrt! Wie beeindruckend es klang, den feinen weißen Kies unter den Reifen knirschen zu hören!
Hier würde ihre Freundin also künftig verkehren?
Und würde Madonna dann – es gab ihr einen Stich, das zu denken – immer noch ihre Freundin sein? Oder würde Serenity sich damit begnügen müssen, später einmal erzählen zu können: Madonna Two Eagles? Ja, die hab ich gekannt, noch bevor sie so berühmt geworden ist? Was ihr dann immer niemand glauben würde.
Kyle hielt vor der geschwungenen Treppe, die hoch zur Villa führte. Sie stiegen aus, erklommen die Stufen. Oben wurde die Tür geöffnet. Eine Frau in einem zitronengelben Kleid kam heraus.
»Herzlich willkommen«, sagte sie und reichte Madonna die Hand. »Du bist Madonna Two Eagles, nicht wahr? Ich erkenne dich von deinem Video.«
Madonna starrte sie nur völlig entgeistert an, ließ sich die Hand schütteln, schien jeden Moment ins Koma fallen zu wollen.
»Ich heiße Miranda«, erklärte die Frau, während sie Serenity und Kyle ebenfalls die Hand gab. »Ich bin Mr van Horns Assistentin. Kommen Sie doch herein.«
Sie drehte sich um. Auf ihrer rechten Schulter trug sie ein ziemlich großes, hässliches Tattoo. Es passte irgendwie nicht zu ihrer Erscheinung.
Die Eingangshalle war gigantisch groß und voller haushoher Pflanzen. Die Decke bestand aus einer Glaskuppel, von der das Licht regelrecht auf sie herabzurieseln schien.
»Ach ja«, sagte Miranda. »Leider muss ich Sie bitten, Ihre Mobiltelefone abzugeben.« Sie wies auf einen Mann, der einen grauen Anzug trug und still in einer Ecke gewartet hatte. »Das ist eine Regel hier. Wegen der Fotoapparate, die heutzutage eingebaut sind. Mr van Horn ist leider gezwungen, seine Privatsphäre zu schützen.«
»Wir haben bloß eins«, sagte Madonna und zog ihr goldglitzerndes Telefon aus der Tasche. Der Mann nahm es ihr ab, legte es in eine Plastikschale. Dann zückte er ein Spürgerät mit einer großen Ringantenne, das er vor jedem von ihnen auf und ab bewegte. Er sagte kein Wort, nickte der Frau in dem zitronengelben Kleid auch nicht zu, beendete seine Untersuchung einfach und trat wieder drei Schritte zurück in den
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