Kohärenz 02 - Hide*Out
verschwunden, Karriere hin oder her. Aber Serenity ließ nicht locker.
Sie wies auf das Telefon in Kyles Hand. »Frag Christopher. Vielleicht weiß er, wo die stecken.«
Noch nie war Christopher so lange im Feld gewesen, ohne gejagt, bedrängt und von Fallen umstellt zu werden. Nichts davon begegnete ihm diesmal. Er blieb unerkannt, glitt wie ein Geist durch die Welt der Daten und Gedanken, schlüpfte unsichtbar durch Schranken, passierte Kanäle, konnte tun und lassen, was er wollte, ohne entdeckt zu werden.
Es war unglaublich. Es war, als wäre er nach Hause gekommen. Es war zum Süchtigwerden schön.
Doch bald mischte sich Anspannung in das Hochgefühl. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Eine Aufgabe, die alles andere als leicht war. Eine Aufgabe, die sich kaum ohne Aufsehen würde bewältigen lassen.
Mit anderen Worten: Dieser paradiesische Zustand würde nicht lange andauern.
Aber jetzt gerade zumindest war es, wie es war: Die Kohärenz erkannte ihn nicht, merkte nicht mal, dass er da war. Die Kombination der beiden Chips zusammen mit dem Virus hatten ihm eine Tarnkappe verliehen, die ihn unbehelligt und ungreifbar über den Dingen schweben ließ.
Doch er schwebte nicht nur. Das war ja das Großartige. Er hatte alles im Griff.
Er kontrollierte die Datenströme und den Fluss der Informationen. Die Upgrader in der Villa des Musikproduzenten waren ihm ausgeliefert, taten, was er wollte, leisteten keine Gegenwehr.
Er war ein Adler, der über dem Schlachtfeld schwebte; ein Adler mit einer Universal-Fernsteuerung.
Kyle meldete sich noch einmal, wollte wissen, wo der Produzent und seine Familie steckten.
Auch das war faszinierend: dass er das Telefonsystem so vollkommen beherrschte, dass Kyle ihn, obwohl er ja lautlos sprach, eigentlich nur dachte, an der Stimme erkannte!
Der Musikproduzent. Zack van Horn, zweiunddreißig Jahre alt, geboren in Chicago, im Alter von sieben Jahren mit den Eltern nach Seattle gekommen, seit vier Jahren verheiratet mit Cynthia van Horn, geborene Shannon… Ein Gedanke und er hatte alle Informationen über den Mann vor sich. Seine Schulnoten, seine Kontostände, das Geflecht seiner verschiedenen Firmen und Unterfirmen, die Anzahl der Stimmen, mit denen er in den Vorstand des Verbandes der unabhängigen Medien Amerikas gewählt worden war – einfach alles.
Ein Gedanke und er wusste, in welchem Kellerraum die Upgrader ihn und seine Frau gefangen hielten. Die Kohärenz hatte es nicht eilig gehabt, ihnen Chips einzupflanzen; das hatte man in einem Aufwasch mit Kyle, Serenity und Madonna machen wollen.
Christopher sah den Grundriss des Gebäudes vor sich, groß, farbig, so detailreich, wie kein Computerspiel es einem hätte bieten können, weil man, wenn man mit Gedanken sah, alles zugleich erkennen konnte. Kein Problem, Kyle zu der Treppe zu dirigieren, die ins Untergeschoss hinabführte. Kein Problem, einen der Upgrader in Bewegung zu setzen, den Kellerraum aufzuschließen und van Horn und seine Frau loszubinden.
Und weil Christopher das Telefon in Kyles Hand ortete, sah er, wie die drei sich in Bewegung setzten, sah, wie sie sich durch den Plan des Gebäudes bewegten.
Ein Anblick, der auf einmal ein ungutes Gefühl in ihm aufsteigen ließ. Mit jedem Meter, den sie sich bewegten, verdampfte sein Triumphgefühl weiter, fühlte er sich mehr und mehr unwohl.
Zu langsam. Das ging alles viel zu langsam.
Jetzt waren sie unten. In einem Teil des Untergeschosses, aus dem diese Treppe der einzige Ausgang war.
Das gefiel ihm nicht. Er musste Kyle sagen, dass sie sich beeilen sollten –
In diesem Augenblick brach ein geistiger Schrei über ihn herein, der ihn traf wie ein Schlag mit einem Hammer. Es war, als stünde er mitten in einem voll besetzten Stadion und die hunderttausend Menschen auf den Rängen schüttelten alle ihre Fäuste gegen ihn und schrien ihn an: »Wer bist du?«
Wäre dies die normale Welt gewesen, er wäre in die Knie gegangen unter der Wucht dieses Sehreis. So brach er geistig zusammen, doch das war nicht weniger real.
Es war die Kohärenz, so viel verstand er. Die Kohärenz, die nun doch die Barriere bemerkt und durchstoßen hatte, die er um das Gebäude und die Gruppe der zehn Upgrader errichtet hatte.
Er wollte Kyle warnen, doch er konnte es nicht mehr.
88 | Atemlose Stille umgab sie, als sie die Treppe ins Untergeschoss hinabstiegen. Serenity bemühte sich, so leise wie möglich aufzutreten, doch ihre Schritte hallten wider; das war gar nicht zu
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